Bild nicht mehr verfügbar.

Politische Bildung in der Schule lernen - wie das ABC.

Foto: APA/dpa

Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz fordert neben Strafen für "Integrationsunwilligkeit" auch "Politische Bildung" ab der fünften Schulstufe und "verpflichtenden Ethikunterricht für alle, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen". Die "Grundwerte des Zusammenlebens in Österreich" müssten unbedingt vermittelt werden, sagte er im Ö1-"Morgenjournal am Dienstag. Georg Koenne fordert, "Politische Bildung" müsse "so rasch wie möglich als eigenes Unterrichtsfach an den Schulen verankert werden", ohne dabei "politisches Kleingeld zu wechseln".

***

Viele Menschen haben das Gefühl, dass der soziale Zusammenhalt in der Gesellschaft nicht mehr besteht und unsere Demokratie gefährdet ist. Tragische Ereignisse wie die Anschläge von Paris bestärken manche in diesem Gefühl. Da mag es auch nicht wundern, wenn etwa ein Drittel aller Österreicherinnen und Österreicher der Aussage "Man sollte einen starken Führer haben, der sich nicht um Wahlen und Parlament kümmern muss" voll oder ziemlich zustimmen, wie Oliver Rathkolb kürzlich in einer Studie publizierte. Das macht betroffen und ist gleichzeitig ein Auftrag.

Schön und richtig, aber keine neue Forderung

Der Ruf nach mehr politischer Bildung an österreichischen Schulen wird entsprechend gerne und von vielen Seiten erhoben. Zuletzt hat Außenminister Kurz ausrichten lassen, dass er das Pflichtfach "politische Bildung" fordert. Das ist schön und richtig, allein, es dürfte dem Außenminister einiges entgangen sein.

Die Forderung ist nicht neu, was fehlt, ist die politische Umsetzung. So steht schon im Regierungsprogramm die Einführung sogenannter "Pflichtmodule" für politische Bildung ab der sechsten Schulstufe. Das Problem dabei ist nur: Niemand weiß, was ein "Pflichtmodul" sein soll, denn den Begriff gibt es an Österreichs Schulen nicht. Und so kämpfen sich die zuständigen Stellen und Politikdidaktikerinnen und -didaktiker ab, was die Regierung damit denn gemeint haben könnte. Ein eigenes Schulfach? Einzelne vorgegebene Einheiten in anderen Fächern, zum Beispiel Geschichte oder Geografie? Und die Regierung, die ja das Regierungsprogramm zu verantworten hat, schweigt anstatt klar zu sagen, was sie will.

Anschauungsbeispiel des "Drüberfahrens"?

Aber auch beim grundsätzlichen Wunsch ist sich die ÖVP scheinbar uneinig. So wurde noch am 14. November 2014 von der ÖVP ein Antrag der Grünen auf Einführung des Pflichtfaches "Politische Bildung" abgelehnt. War das vielleicht als zukünftiges Anschauungsmaterial gedacht, nach dem Motto: Hier kann man sehen, wie einer Regierungspartei die Parteipolitik wichtiger ist, als verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen? Oder soll man daran zukünftig im Unterricht den Umgang der ÖVP mit der Opposition behandeln, quasi als reales Anschauungsbeispiel des "Drüberfahrens"?

Was Kurz vielleicht auch nicht weiß: Politische Bildung ist schon jetzt in der Schule verankert. In den Berufsschulen gibt es das eigenständige Fach "Politische Bildung" seit 1976. Warum es sich in den anderen Schulformen nicht durchgesetzt hat, weiß eigentlich niemand. Aber auch in allen anderen Schulformen ist spätestens ab der neunten Schulstufe die politische Bildung explizit verankert, zum Beispiel "Politische Bildung und Recht" in Handelsakademie (HAK) und Handelsschule (HAS). Auch gibt es einen Grundsatzerlass zu politischer Bildung – zwar aus dem Jahr 1978, aber erstaunlich aktuell geschrieben (gesellschaftliche Veränderungen wie Gendersensibilität einmal ausgelassen, aber genau deshalb wird der Erlass auch gerade überarbeitet.)

Schutz und Prävention

Damit hier kein Missverständnis entsteht: Politische Bildung muss so rasch wie möglich als eigenes Unterrichtsfach an den Schulen verankert werden, zum Schutz unserer Demokratie und als wirksamste Prävention gegen Radikalisierungen und Extremismus. Aber lasst es uns doch geordnet angehen, statt politisches Kleingeld zu wechseln. Denn wir stehen vor einem ganz anderen Problem: Es gibt so gut wie keine fachdidaktisch in politischer Bildung ausgebildeten Pädagoginnen und Pädagogen. Kein Wunder: Es gibt auch keinen einzigen (!) Lehrstuhl zur Fachdidaktik politische Bildung an österreichischen Universitäten. Wer soll denn die zukünftigen Pädagoginnen und Pädagogen in diesem Bereich ausbilden? Eine einzige Professur, die es Ende der 2000er Jahre an der Uni Wien für ganze zwei Jahre gegeben hat, ist seit bald fünf Jahren unbesetzt. Daher muss die Strategie lauten:

  • Kurzfristig die vorhandene Verankerung der politischen Bildung an der Schule – sei es als Unterrichtsprinzip, sei es als "Anhängsel" an Geschichte, Sozialkunde oder Geografie, ernst nehmen und aufwerten. Dazu gibt es genug anwendbares Unterrichtsmaterial, zum Beispiel vom Zentrum Polis.
  • Gleichzeit muss die Fachdidaktik zur politischen Bildung an den österreichischen Unis und Pädagogischen Hochschulen aufgebaut werden. Ohne Fachdidaktik gibt es auch keine zukünftigen Pädagoginnen und Pädagogen in diesem Bereich.
  • Für das Unterrichtsfach "Politische Bildung" müssen moderne und zweckmäßige Lehrpläne geschrieben werden. Das braucht, mit allen notwendigen und sinnvollen Reflektionsschleifen, auch seine Zeit.
  • Zu guter Letzt: Das Pflichtfach "Politische Bildung" kommt in alle Schulen.

Zivilcourage und gelebte Toleranz

Wobei "politische Bildung" natürlich viel mehr ist, als der völlig überholte Begriff "Staatsbürgerkunde", den Kurz auch recht gerne verwendet. Es geht um das Kennen der politischen Strukturen, aber auch um das Übernehmen von Verantwortung, Zivilcourage und gelebte Toleranz und schließlich Ermunterung zu aktivem politischen Handeln.

Dafür notwendig ist ein klares Bekenntnis der Regierung statt der immer gleichen Sonntagsreden. Auch wenn es noch nach einem weiten Weg ausschaut: lasst uns endlich den ersten Schritt machen! Als ein Zeichen, dass sie es ernst meinen, könnten die Regierungsabgeordneten dem erneut eingebrachten Antrag der Grünen im Unterrichtsausschuss am 28. Jänner für ein Pflichtfach "Politische Bildung" zustimmen. (Georg Koenne, derStandard.at, 27.1.2015)