Die katastrophale Wahlniederlage der Regierung Samaras hat gezeigt, dass zwei Drittel der Griechen den seit 2010 aufgezwungenen Sparkurs für einen schweren Fehler halten. Und in ganz Europa und den USA schließen sich Ökonomen, Kommentatoren und Politiker dieser Meinung an.

Angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Zustände ist es verständlich, warum so viele zu diesem Schluss kommen. Und seit Margaret Thatchers "There is no alternative" werden Leute, die einen orthodoxen Wirtschaftskurs für alternativlos erklären, scheel angeschaut.

Aber kein Kritiker hat bisher plausibel erklären können, was die Alternative zu dem von der Troika den Griechen aufgezwungenen – und von den etablierten Parteien akzeptierten – Kurs gewesen wäre. Ich rede hier nicht von kleinen Korrekturen, sondern von einem Verzicht auf das Wesentliche – auf Ausgabenkürzungen, Steuererhöhungen und eine Senkung der Gehälter im öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft.

Solange es den Vertretern von Syriza, wie etwa dem neuen Finanzminister Yanis Varoufakis, nicht gelingt, eine überzeugende Alternative aufzuzeigen statt nur über die bestehenden Zustände zu schimpfen, solange mangelt es auch ihren jetzigen Plänen an Glaubwürdigkeit.

Der Stand der Dinge 2010

Gehen wir zurück zum Jahreswechsel 2009/10: Griechenland hatte ein Jahrzehnt in einem geradezu absurden Ausmaß auf Pump gelebt – nicht nur der Staat, sondern die ganze Volkswirtschaft. Zwei Zahlen machen das deutlich:

2009 hatte Griechenland in seinem öffentlichen Haushalt ein Primärdefizit – also ein Loch zwischen Einnahmen und Ausgaben noch vor der Bedienung seiner Schulden – von knapp elf Prozent. Einschließlich des Schuldendienstes war das Defizit noch ein paar Prozentpunkte höher.

Und das Defizit in der Leistungsbilanz, die den Handel mit Waren und Dienstleistungen und allen anderen Zahlungsflüsse mit dem Ausland erfasst, betrug 2008 fantastische 15 Prozent.

Das heißt, selbst wenn der griechische Staat keine Schulden gehabt hätte, hätte er massiv neue Kredite aufnehmen müssen, nur um seine Ausgaben zu begleichen. Und diese Gelder mussten aus dem Ausland kommen. Denn Griechenland produzierte Jahr für Jahr deutlich weniger als es konsumierte. Das geht nur, wenn Kapital von außen zuströmt.

Ein falscher Hoffnungsträger

Bis 2009 hatten weder der Staat noch die Unternehmen und Haushalte Probleme, frisches Geld von privaten Quellen zu bekommen. Bis zum Eurobeitritt 2002 waren die Defizite eher klein, und danach galt das Land fälschlicherweise als Hoffnungsträger mit großen Wachstums- und Gewinnpotenzial.

Doch 2009, als eine neue Regierung die bis dahin gefälschten Defizitzahlen richtigstellte, brach die Bereitschaft der Finanzmärkte Griechenland zu finanzieren ab. Nun mussten die anderen Eurostaaten einspringen, zuerst mit bilateralen Krediten, dann über den Euro-Rettungsschirm EFSF.

Wo die Kritiker Recht haben, ist bei der Frage des Schuldenschnittes. Griechenland hätte schon 2010 einen Großteil seiner Schulden erlassen werden sollen. Denn diese waren auch damals nicht eintreibbar und belasteten das Vertrauen der Wirtschaft schwer.

Schuldenverzicht hätte nicht gereicht

Aber auch ein Schuldenverzicht von, sagen wir, 80 Prozent hätte dem Land den Sparkurs nicht erspart. Das wird auch von höchst versierten Kritikern wie Paul Krugman gerne ausgespart. Denn kein Gläubiger mit etwas Vernunft wird einem Schuldner die Schulden erlassen, wenn dieser gleichzeitig neue macht. Griechenland musste von externen Geldgebern unabhängig werden. Dafür mussten das Primärdefizit und das Leistungsbilanzdefizit zum Verschwinden gebracht werden.

Der Staat musste entweder mehr Einnahmen generieren oder Ausgaben kürzen. Da die Steuereinnahmen als Folge der Krise fielen, waren drastische Kürzungen der einzige Ausweg.

Für eine ausgeglichene Leistungsbilanz mussten Exporte steigen und/oder Importe sinken. Das erreicht man am leichtesten mit einer Währungsabwertung. Doch Griechenland war im Euro und wollte dort bleiben. Der Weg der Abwertung war versperrt.

Innere Abwertung

Die einzige ökonomische – und immer sehr schmerzhafte – Alternative ist eine innere Abwertung –Löhne und Preise müssen sinken, um wettbewerbsfähig zu werden – und eine Rezession, die den Hunger nach Importen zum Erliegen bringt.

Der Sparkurs der Troika war genau darauf ausgerichtet. Und beide Ziele wurden in den vergangenen beiden Jahren unter großen Schmerzen erreicht: Seit 2013 gibt es einen kleinen Überschuss in der Leistungsbilanz, seit 2014 auch im Primärhaushalt.

Doch leider gelang es Griechenland trotz fallender Lohnkosten nicht, die Exporte zu steigern. Zu groß sind die Hindernisse für Unternehmertum durch die strukturellen Probleme des Landes – das rigide Arbeitsrecht, die Bürokratie, die Korruption. Und diese wurden von den Krisenregierungen nicht wirklich angegangen.

Geforderte Reformen blieben aus

Der Rückgang der Wirtschaftsleistung und der Anstieg der Arbeitslosigkeit waren dadurch noch viel höher als prognostiziert. Doch daran war nicht die Troika schuld, die ständig solche Reformen einforderte.

Die EU-Partner haben auch nicht gefordert, dass nur bei den Schwächsten gespart wird. Aber anderswo – im Militär, in der Verwaltung, bei den Oligarchen – waren die politischen Widerstände im Land offenbar stärker. Das machte den Sparkurs schlimmer als notwendig.

Man kann das soziale Elend in Griechenland noch so laut beklagen und damit auch Wahlen gewinnen. Doch diese mathematisch-ökonomischen Fakten muss auch die Regierung von Alexis Tsipras zu Kenntnis nehmen.

Griechenland kann sich weder ein neuerliches Primärdefizit noch ein Leistungsbilanzdefizit leisten. Die alten Schulden werden vielleicht vergeben; doch für neue wird niemand in Europa seine Brieftasche öffnen. (Eric Frey, derStandard.at, 28.1.2015)