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Historische Orte von Verbrechen wie das Vernichtungslager Auschwitz sind wichtig für die Erinnerungskultur.

Foto: Reuters / Pawel Ulatowski

Krems - "Hier waren früher nichts als Felder" oder "Wir sind zu Fuß von hier nach Klosterneuburg gegangen, um meiner Cousine Milch zu bringen." Spaziert man mit einem Menschen durch eine Stadt, der sie noch zu gänzlich anderen Zeiten kannte, verändert sich die Wahrnehmung von dem jeweiligen Ort radikal. Auf einmal folgt man einem imaginären Stadtplan aus Erinnerungen. Durch solche persönlichen Erzählungen wird Geschichte greifbar. Die Erinnerungsforschung spricht von "Vergegenwärtigung". 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges muss sie sich damit beschäftigen, wie dieses intensive Erleben von Geschichte erhalten bleiben kann, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt.

Augmented Reality könnte darauf eine Antwort sein, wie Edith Blaschitz zeigt. Die Historikerin forscht am Department für Kunst- und Kulturwissenschaften der Donau-Uni Krems und leitet seit Sommer letzten Jahres den Bereich Digital Memory Studies. Der junge Forschungsbereich beschäftigt sich mit der Frage, was digitale Medien für die Erinnerungskultur bedeuten. Blaschitz' Forschungsinteresse richtet sich speziell auf die sogenannte Holocaust Education, ein Konzept, das aus dem angloamerikanischen Raum stammt und das über individuelle Lebenserfahrungen Geschichte erzählen will.

In einem Artikel, der in Kürze in der Zeitschrift für Genozidforschung der Ruhr-Universität Bochum erscheinen wird, skizziert sie gemeinsam mit Erich Herber, wie neue Anwendungen für Smartphone und Tablet den Besuch von Erinnerungsorten sinnvoll unterstützen können.

Simulierte Synagoge

Blaschitz und Herber interessieren sich dafür, wie Augmented-Reality-Technologie eingesetzt werden kann, um eine engere Verbindung zu dem besuchten Ort herzustellen. Sie sprechen von einer "Überlagerung" der aktuellen Raumsituation durch eine "digitale historische Dimension".

So lässt etwa die Handy-App "Oshpitzin", die das Leben der jüdischen Bevölkerung in Auschwitz zeigt, mittels Geolokation und 3-D-Simulation eine längst zerstörte Synagoge auf ihrem alten Platz erscheinen. Gleichzeitig könnte, so denken die Wissenschafter weiter, in solchen Programmen auf virtuelle Archiv- und Museumsmaterialien zugegriffen werden.

In Deutschland gibt es bereits einige Projekte in dieser Richtung, wie "Stolpersteine" für München oder "Erinnerungsorte für die Opfer" für über 200 Schauplätze in ganz Deutschland. Beide Apps basieren auf virtuellen Karten, auf denen die Verbrechen der Nationalsozialisten und die Lebensgeschichten von Opfern verzeichnet sind. Sie können vor Ort verwendet werden wie auch als ortsunabhängiges Recherchewerkzeug.

Auch in Österreich fanden die Autoren Beispiele für den Einsatz von Augmented Reality für die Erinnerungskultur. Das Jüdische Museum Wien betreibt die App "Zwischen den Häusern". Sie lotst die Besucher zu einem zweiten Standort des Museums, entlang 17 historischer Orte im öffentlichen Raum. Auch das großangelegte Programm "The Vienna Project" stellt mit einer virtuellen "Karte der Erinnerung" historische Bezüge von 38 Orten dar.

Blaschitz sieht in dieser Möglichkeit, Geschichte zu erfahren, eine große Chance, die aber richtig genutzt werden müsse: "Es ist wichtig, didaktische Konzepte zu entwickeln, um Geschichte zu vergegenwärtigen, sie aber andererseits nicht zu trivialisieren." (Julia Grillmayr, DER STANDARD, 28.1.2015)