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François Hollande sprach am Dienstagvormittag mit Holocaust-Überlebenden und jungen französischen Juden und Jüdinnen. Er kündigte weitere Aufklärungsmaßnahmen und mehr polizeilichen Schutz für jüdische Einrichtungen an.

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Das Attentat auf den jüdischen Supermarkt in Paris, bei dem am 9. Jänner vier Geiseln starben, erfolgte nicht aus heiterem Himmel. Wie der Dachrat der jüdischen Organisationen (Crif) am Dienstag bekanntgab, wurden im vergangenen Jahr 851 antisemitische Taten registriert - doppelt so viele wie im Vorjahr (423). Noch stärker ist die Zunahme bei den körperlichen Attacken: Sie stiegen binnen Jahresfrist von 105 auf 241.

Crif-Präsident Roger Cukierman stellte einen Bezug zu den jüngsten Attentaten her: "Von der Beleidigung zur Gewalt, von der Gewalt zum Terrorismus." Er erinnerte daran, dass die antisemitischen Akte mehr als die Hälfte aller rassistischen Straftaten in Frankreich ausmachten; dabei stellen die knapp 600.000 Juden Frankreichs nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung.

Sie beklagen ein zunehmend bedrohliches Klima. Im Pariser Vorort Créteil war Ende 2014 ein junges Paar misshandelt und ausgeraubt worden, "weil Juden reich" seien. 2014 emigrierten etwa 5000 französische Juden nach Israel - ein Rekord.

Hollande: Starke Maßnahmen

Cukierman forderte von der französischen Regierung "starke Maßnahmen". Präsident François Hollande antwortete bei einem Auftritt im Pariser Holocaust-Memorial, bevor er an die Gedenkfeiern in Auschwitz reiste. Er kündigte für Ende Februar einen "globalen Plan" zur Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus an. Solche Motive sollen im Strafrecht in Zukunft als "straferschwerend" geahndet werden. Neben normalen sollen aber auch Strafen mit "pädagogischem" Charakter eingeführt werden.

Weitergehende Maßnahmen sind fast nicht mehr möglich: Der Schutz jüdischer Einrichtungen wie Synagogen und Schulen ist zuletzt mehrfach verstärkt worden; zudem hat Bildungsminister Najat Vallaud-Belkacem eine Serie schulischer Maßnahmen wie etwa die Einführung einer "Woche gegen Rassismus und Antisemitismus" angekündigt.

Antisemitismus "hat Gesicht gewandelt"

Diese beiden Begriffe benutzt die Regierung bewusst in einem Atemzug. Hollande wählte seine Worte am Dienstag ebenfalls mit viel Bedacht: Während Lehrer in Banlieue-Vierteln berichten, dass sie bei einzelnen Schülern auf heftigen Widerstand stoßen, wenn sie das Thema Holocaust anschneiden wollen, vermied es der Staatspräsident bewusst, die Taten einer bestimmten Bevölkerungskategorie zuzuweisen. Er meinte nur, der Antisemitismus habe "sein Gesicht gewandelt", auch wenn er auf den alten Komplott-Mechanismen beruhe. Das war eine Anspielung auf die in Vorstädten zirkulierenden Thesen, die Pariser Attentate seien vom französischen oder israelischen Geheimdienst inszeniert worden.

Nach den Anschlägen war es auch zu mehr als 50 Attacken auf muslimische Einrichtungen gekommen. Familien mit dem algerischen Namen Kouachi - so hießen zwei der Attentäter - berichten von Anfeindungen. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 28.1.2015)