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Die HPV-Impfung bringt kein erhöhtes Risiko für multiple Sklerose – dies zeigen zwei aktuelle Studien.

Reihenimpfungen zum Schutz vor Gebärmutterhalskrebs erhöhen nicht das Risiko für multiple Sklerose (MS) oder ähnliche Nervenkrankheiten. Gleich zwei seriöse Studien haben dies nun kurz nacheinander bestätigt. "Wir Neurologen können Mädchen und jungen Frauen eine Impfung gegen das menschliche Papilloma-Virus HPV guten Gewissens empfehlen, denn der Schutz wird nicht durch Erkrankungsrisiken des Nervensystems erkauft", sagt Heinz Wiendl von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).

Beobachtet wurde lediglich, dass bei bestehender Erkrankung infolge einer Impfung die ersten Symptome früher als sonst auftreten können – wie das etwa auch bei einem grippalen Infekt der Fall wäre.

Große Verunsicherung

MS ist eine chronische Autoimmunkrankheit, bei der die Hüllen der Nervenzellen angegriffen werden. Der Verlauf ist bei den Patienten sehr verschieden, ist aber immer mit großen Einschränkungen verbunden und führt in vielen Fällen über mehrere Jahre hinweg zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands bis hin zum Tod. Gebärmutterhalskrebs macht rund zwei Prozent aller Krebsneuerkrankungen bei Frauen aus.

Mit mehr als zwei Millionen Patienten weltweit zählt die MS zu den häufigsten schwerwiegenden neurologischen Erkrankungen. Schon bald nachdem im Jahr 2006 der Impfstoff gegen HPV zugelassen worden war, gab es mehrere Fallberichte über MS-Erkrankungen in kurzem zeitlichem Abstand. "Ob es sich dabei schlicht um Zufälle handelte, war damals unklar. Zahlreiche Medienberichte führten aber zu großer Verunsicherung", beschreibt Heinz Wiendl die Erfahrungen auch aus seiner Klinik.

Nicht mehr Erkrankungen

Um die umstrittene Auslösertheorie zu untersuchen, werteten Epidemiologen vom Statens Serum Institut in Kopenhagen die Krankheitsdaten von fast vier Millionen Däninnen und Schwedinnen aus. Sie waren zwischen zehn und 44 Jahre alt. Zwischen 2006 und 2013 hatten 800.000 dieser Frauen den weitverbreiteten HPV-Impfstoff Gardasil bekommen, sodass die Forscher die Häufigkeit von MS vor und nach der Impfung vergleichen konnten.

Von insgesamt 7.622 MS-Neuerkrankungen waren lediglich 163 in den ersten zwei Jahren nach einer HPV-Impfung aufgetreten. Vor der Impfung gab es durchschnittlich 22 MS-Erkrankungen pro 100.000 Personenjahre – nach der Impfung lag dieser Wert wesentlich niedriger, nämlich bei sechs MS-Erkrankungen pro 100.000 Personenjahre.

Die Wissenschafter haben auch andere, der MS ähnliche Leiden untersucht, die ebenfalls die Hüllen von Nervenzellen angreifen. Hier ergab sich das gleiche Bild, denn diese "demyelinisierenden" Krankheiten wurden vor der Impfung jeweils 16-mal pro 100.000 Personenjahre beobachtet, gegenüber achtmal nach der Impfung.

Keine Schutzwirkung bezüglich MS

Diese Zahlen bedeuten allerdings nicht, dass der Impfstoff vor MS schützen würde. Das Ungleichgewicht kommt vielmehr dadurch zustande, dass MS und ähnliche Krankheiten sich bei Frauen meist erst im zweiten Lebensjahrzehnt entwickeln, während das Impfalter in der Regel zwischen zehn und 15 Jahren liegt.

In einer Korrekturrechnung haben die Forscher ihre Zahlen deshalb entsprechend der natürlichen Altersverteilung von MS angepasst. Die Wahrscheinlichkeit, nach einer HPV-Impfung an MS zu erkranken, erwies sich dann als genauso groß wie ohne Impfung.

Die Daten sprächen wie andere zuvor für ein "günstiges Sicherheitsprofil" im Hinblick auf das MS-Risiko des Impfstoffes, schreiben Scheller und Kollegen in der Fachzeitschrift "JAMA". Durch die Größe der Studie sei das Ergebnis wahrscheinlich auch auf die Situation in ähnlichen Ländern übertragbar.

Zweite Studie

Zum im Wesentlichen gleichen Ergebnis kommt auch eine Studie, die in Südkalifornien mit einer anderen Methode nach einem möglichen Zusammenhang von MS mit verschiedenen Impfungen gesucht hat. Die Forscher haben sämtliche Krankenakten des Versicherungsunternehmens "Kaiser Permanente Southern California" für die Jahre 2008 bis 2011 nach neurologischen Auffälligkeiten untersuchen lassen – und mit den Daten von Impfungen vor allem gegen HPV und Hepatitis B verglichen.

Den 780 Fällen mit MS oder anderen demyelinisierenden Krankheiten stellten die Forscher dann eine fünffache Zahl von Kontrollen gegenüber – Versicherte also, die den Erkrankten bezüglich Alter, Geschlecht und Wohnort möglichst ähnlich waren.

"Auch dieser Vergleich fand keinen Zusammenhang zwischen einer Impfung gegen HPV oder Impfungen allgemein mit dem Risiko, binnen dreier Jahre danach eine demyelinisierende Krankheit zu erleiden", sagt Bernhard Hemmer, Direktor der Neurologischen Klinik der Technischen Universität München.

Höheres Risiko für Ausbruch

Eine genauere Betrachtung zeigte allerdings, dass das Risiko, in den ersten 30 Tagen nach der Impfung mit MS oder einer ähnlichen Krankheit diagnostiziert zu werden, für Geimpfte unter 50 Jahren mehr als doppelt so hoch war wie für Nichtgeimpfte. Dies liegt an einer unspezifischen Aktivierung des Immunsystems.

Dabei gebe es aber keinen ursächlichen Zusammenhang, betonen die Experten. Wahrscheinlich sei vielmehr, dass bei Menschen mit einer bereits vorhandenen, unterschwelligen Erkrankung eine Impfung den Übergang zu sichtbaren Symptomen beschleunigen könne, so die Forscher. "Solch ein Übergang kann auch durch jede natürliche Infektion, etwa mit Schnupfenviren, eingeleitet werden", sagt Hemmer.

Eine Impfung aber verleihe im Gegensatz zu den meisten natürlichen Erkrankungen lange anhaltenden Schutz. "In der Gesamtbilanz senken die Impfungen gegen HPV das Risiko einer Krebserkrankung, und diese Studien sprechen klar gegen ein erhöhtes Risiko für die Entstehung einer MS und ähnlicher Leiden", sagt Hemmer. (red, derStandard.at, 3.2.2015)