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Bei der Geiselnahme im Zentrum Sydneys im Dezember 2014 wurde eine weibliche Geisel durch eine Polizeikugel getötet.

Foto: AP/Rob Griffith

Der erste Tag einer Anhörung im Untersuchungsgericht in Sydney brachte zutage, was viele schon geahnt und einige Medien berichtet hatten: Bei der Geiselnahme im Lindt-Café starb eines der Opfer an den Folgen der Schüsse, die Polizisten abgegeben hatten. Wie der Ermittler Jeremy Gormly am Donnerstag erklärte, starb die 38-jährige Katrina Dawson bei der Erstürmung in den frühen Morgenstunden des 16. Dezember nach Schüssen durch Spezialeinheiten der Polizei. Ein Projektil, das offenbar von einer harten Fläche abgeprallt war, zerriss eine Schlagader der Juristin. Sie verblutete innerhalb weniger Minuten.

Laut Gormly werden die Ermittler nicht davor zurückschrecken, auch mögliche Verfehlungen der Einsatzkräfte aufzudecken. Das Café mitten im Stadtzentrum von Sydney war am 15. und 16. Dezember Ort eines der spektakulärsten Verbrechen der jüngeren australischen Geschichte. Der als "radikaler Islamist" beschriebene Man Haron Monis hatte 18 Menschen in seine Gewalt gebracht. Wie die Untersuchung ergab, betrat Monis um 8.33 Uhr das Café und bestellte sich einen Tee und ein Stück Schokoladekuchen. In einer Plastiktüte trug er eine abgesägte Schrotflinte. Als er mit dem Essen fertig war, rief er den Geschäftsführer Tori Johnson zu sich, der danach das Restaurant schließen lassen hatte. Kurz darauf habe Moni ein Stirnband angezogen und gesagt: "Dies ist ein Angriff - ich habe eine Bombe." Um 9.44 Uhr habe Johnson auf Befehl Monis' die Polizeinotrufnummer wählen müssen. Johnson habe die Polizei gewarnt, Australien sei von der Jihadistenorganisation "Islamischer Staat" angegriffen worden. Die Terrororganisation habe im Stadtzentrum mehrere Bomben platziert.

Laut der ersten Untersuchung feuerte Monis seine Waffe erst ab, nachdem mehreren Geiseln die Flucht gelungen war. In den frühen Morgenstunden des folgenden Tages, 17 Stunden nach Beginn des Dramas, sei es zu einem blutigen Höhepunkt gekommen. Ein Scharfschütze der Polizei hatte beobachtet, wie Monis Johnson in die Knie zwang und ihm aus einer Distanz von 75 Zentimeter in den Hinterkopf schoss. Das Opfer sei sofort tot gewesen. Einsatzkräfte stürmten das Café. Beim Angriff wurde Monis von einem guten Dutzend Kugeln getroffen und augenblicklich getötet. Querschläger aus den Polizeiwaffen hätten Dawson tödlich verletzt.

Motivation des Attentäters

Das Gericht wird auch die Motivation von Monis untersuchen. Obwohl der Attentäter mehrere Geiseln gezwungen hatte, eine islamische Flagge ans Fenster zu halten, sieht es so aus, als ob er keinen Kontakt zum "Islamischen Staat" hatte. Monis war als Flüchtling aus dem Iran nach Australien gekommen und hatte sich in den vergangenen Jahren als selbsternannter islamischer Geistlicher einen Namen gemacht. Schon im Vorfeld der Untersuchung mussten sich Gerichte und Behörden Kritik gefallen lassen. Der wegen mehrfacher sexueller Belästigung vorbestrafte Gewalttäter war zum Zeitpunkt der Tat auf Kaution frei, obwohl ihm vorgeworfen wurde, an der Ermordung seiner Frau beteiligt gewesen zu sein.

Die Geiselnahme im Dezember führte zur Stilllegung des Stadtzentrums. Die City war weiträumig gesperrt, während Sicherheitskräfte nach Bomben suchten. Betroffene Geschäfte beklagten einen Umsatzverlust kurz vor Weihnachten von mehreren hunderttausend Dollar. Sie können auf Schadenersatz hoffen: Die Regierung klassifizierte die Geiselnahme jüngst als "terroristischen Akt". Schäden aus terroristischen Handlungen würden durch die meisten Versicherungen gedeckt, so Schatzkanzler Joe Hockey. (Urs Wälterlin aus Sydney, DER STANDARD, 30.1.2015)