Wien – Was würden Sie tun, wenn Sie in der Lage von Ian Mitchell wären? Sie sind erfolgreicher Anwalt, geschieden, haben eine kleine Tochter, sehen blendend aus, und eines schönen Morgens liegt vor Ihrer Haustür eine Kiste. Darauf steht Ihr Name. Sie öffnen die Kiste, darin liegt eine Pistole und das Foto eines Ihnen fremden Menschen. Ihn sollen Sie in weniger als drei Tagen erschießen, andernfalls würden Sie selbst exekutiert. Was würden Sie tun?

Das, freilich, ist schwer zu beantworten und muss jeder für sich selbst tun. Ian Mitchell, Held der Serie "Chosen", geht systematisch vor. Nach dem ersten Schreck schaut er ein "How to"-Video auf Youtube an: Wie lade ich eine Waffe? Töten will gelernt sein.

"Ian ist kein Superheld, er hat keine Ahnung von Waffen und Gewalt", sagt Milo Ventimiglia über seine Rolle. Zumindest ist er ein gelehriger Schüler: Es braucht keine drei Tage, bis er sich zu helfen weiß. Die Frage, ob er den Auftrag erfüllt oder nicht, hält die Aufmerksamkeit über sechs Folgen auf höchster Stufe.

Foto: 13th Street / Sky

Wie das Katz-und-Maus-Spiel des CTU-Agenten Jack Bauer gegen unsichtbare Staatsfeinde rast auch Ian Mitchell in Chosen von einer lebensgefährlichen Situation zur nächsten. Mit dem Unterschied, dass die Bösewichte noch schwerer auszumachen sind: Den teuflischen Auftrag erteilten anonyme "Wächter".

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Beim Drehen verlangt einem eine solche Rolle alles ab, erzählt Ventimiglia im Gespräch mit dem Standard. Jeden Tag sei er "mit blauen Flecken und Kratzern" nach Hause gegangen. Gleich am ersten Drehtag habe er sich im Nahkampf die Nase gebrochen: "Wir drehten noch keine drei Stunden. Ich schlug in die eine Richtung, mein Filmpartner in die andere – und traf mich. Es blutete wie die Hölle." Er bewies Talent zur Härte gegen sich, steckte Tampons in die Nasenlöcher, bis es aufhörte zu bluten – und spielte weiter: "Das ist das Geschäft. Wir haben nicht den Luxus, einfach abzuhauen", sagt Ventimiglia.


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"Chosen" ist im Serienkosmos, was "24" in den 2000er-Jahren war: rasantes Actiondrama, das die Möglichkeiten des Abspielkanals optimal ausnützt. Waren das bei der Fernsehserie "24" noch Spielereien mit Echtzeit und Splitscreens, so ist in Zeiten der Onlinenutzung die Experimentiermasse die Länge der Episoden.

22 Minuten dauern im US-Fernsehen meist nur Sitcoms. Actionserien sind auf rund 50 Minuten konzipiert. Serienkonsumenten neigen zu selbstbestimmtem Dauerglotzen, so genanntem Binge Viewing. Sechs Folgen pro Staffel produzierte Sony für den Onlinedienst Crackle. Macht in Summe: spielfilmlange 132 Minuten.

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Mit dem Unterschied, dass sich "Chosen" von einem Cliffhanger zum nächsten hetzt: Der Weg vom braven Familienvater zum rasenden Actionhelden – er ist ein direkter, und auch das ist auf digitalen Konsum getestet: "Es gibt eine bestimmte Aufmerksamkeitsspanne, in der man es schaffen muss, das Intersse der User zu gewinnen", sagt Ventimiglia.

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Wie Jack Bauer ist auch Ian Mitchell ein "good guy", der gegen das Böse kämpft. Ventimiglia, einst Schönling aus den "Gilmore Girls", spielt ihn schnörkellos. Die Rolle bekam er über Ben Ketai, Autor und Regisseur von Chosen, mit dem er bereits einen weiteren – noch titellosen – Film entwickelt.

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Die Darstellung brutaler Verhörmethoden brachte "24" einst herbe Kritik ein. Dass eine Serie nun eine Anleitung zum Laden einer Waffe gibt, hält Ventimiglia für unproblematisch: "In unserer Geschichte macht es Sinn, dass er online sucht", begründet der bekennende Serienfan. Sein TV-Favorit ist "Sons of Anarchy". Die FX-Dramaserie ist von Shakespeares Hamlet inspiriert. Knallharte Biker führen in einer kalifornischen Kleinstadt ein eisernes Regiment.

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Von Chosen soll es drei weitere Staffeln zu je sechs Folgen zu je 22 Minuten geben. Nur die finale vierte Saison nimmt sich mehr Zeit. 13th Street im Angebot von Sky zeigt Saison eins und zwei ab 2. Februar.

Und was würden Sie nun tun? (Doris Priesching, DER STANDARD, 30.1./1.2.2015)

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Trailer zur ersten Staffel von "Chosen"

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