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Barack Obama ist ein großer Fan des Basketballs, aber der Football zaubert auch dem Präsidenten ein Lächeln ins Gesicht.

Foto: AP/Charles Dharapak

Es ist schon bemerkenswert, welchen Furor der Streit um den Luftdruck in einem braunen, elliptischen Ball auslösen kann. Am Sonntag treten die New England Patriots gegen die Seattle Seahawks zur Super Bowl an, und die Kontroverse, die seit Tagen die Schlagzeilen bestimmt, kreist um die Frage, ob das Kabinenpersonal der Patriots beim letzten Match vor dem Finale die Bälle mit hinterlistiger Absicht schwächer aufpumpte, als es den Vorschriften entsprochen hätte.

Bill Belichick, der Trainer der Patriots, sieht sich in seiner Ehre verletzt. Tom Brady, der Star-Quarterback, weiß von nichts. Und die Footballgemeinde, sofern sie nicht in Neuengland beheimatet ist, spricht gereizt von "Deflategate": Haben die Patriots gemogelt? Sind sie nicht sowieso notorische Betrüger?

Genauso bemerkenswert wie die Heftigkeit dieses Sturmes im Wasserglas ist der Stellenwert, den Football im US-Alltag besitzt. Für Amerikaner wohnt ihm ein Zauber inne, den Nichtamerikaner kaum verstehen können. Sal Paolantonio versucht in seinem Buch How Football Explains America eine Erklärung. Bei Football gehe es darum, Territorium zu erobern, beharrlich und systematisch, bis man in die sogenannte Endzone vordringt.

"Kontrollierte Gewalt"

In den 1880ern, als sich Unis wie Harvard, Princeton und Yale auf reformierte Regeln verständigten, auf dass sich Football markanter vom britischen Rugby unterscheide, seien die USA ein Land auf Expansionskurs gewesen, besonders westlich des Mississippi. Das Prinzip des Bodengewinns als Spielmaxime - vielleicht sei es politisch nicht korrekt, das zu sagen, aber dies seien nun einmal die Wurzeln.

Michael Mandelbaum, Politikprofessor an der Johns Hopkins University, sieht es prosaischer. "Football ist zwar kontrollierte Gewalt, aber nichtsdestotrotz ist es Gewalt, und dabei zuzuschauen, daran finden die Menschen Gefallen, seit die Gladiatoren im antiken Rom kämpften."

Es mangelt auch nicht an Versuchen, die Footballarena voll Pathos als Charakterschule der Nation zu idealisieren. Football lehre Demut, sagt Jerry Jones, der Besitzer der Dallas Cowboys, "denn bei jedem einzelnen Spielzug nimmt sich ein anderer vor, dich aufs Kreuz zu legen". Wieder aufzustehen, nachdem man zu Boden ging, das sei ja wohl die Quintessenz des American Spirit.

Jenseits der Politik

Dann ist da noch das Bemühen, Football ins politische Koordinatensystem einzuordnen. Unter den sprichwörtlichen Rednecks erfreut sich der Sport besonderer Popularität. Daraus aber eine Nähe zur Republikanischen Partei abzuleiten, wäre zu simpel. Für George Will, den Doyen unter den konservativen Politikkolumnisten, vereint "Football die beiden negativsten Eigenheiten Amerikas, Gewalt, die nur unterbrochen wird von Ausschusssitzungen". Letzteres spielt auf die ständigen taktischen Auszeiten an.

Auch sonst fehlt es nicht an Kritik. Gehirnerschütterungen infolge schwerer Kopfstöße sind normal. Tragische Geschichten über Athleten, die sich das Leben nehmen, weil sie ihre Gehirnschäden nicht mehr aushalten, haben sogar den Präsidenten auf den Plan gerufen. "Hätte ich einen Sohn, ich würde ihn nicht Football spielen lassen", sagte Barack Obama, ein bekennender Basketballfan.

Am Phänomen Super Bowl kann aber auch Obama nicht vorbei. 2014 saßen rund 110 Millionen Amerikaner vor den Bildschirmen. Jeder vierte US-Haushalt legt sich in den Wochen vor der Super Bowl einen neuen Fernseher zu. Dann das ganze Drumherum, die Halbzeitshow mit Stars, die Werbefilmchen mit Kultcharakter, die Fliegerstaffel, die übers Stadion hinwegdonnert, die tanzenden Cheerleader. Gregg Easterbrook, Kommentator des Sportkanals ESPN, spricht von einem "irren, ulkigen Exzess", der - wenigstens einmal im Jahr - dem Bild nahe komme, das der Rest der Welt von Amerika habe. (Frank Hermann aus Washington, DER STANDARD, 30.01.2015)