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Babybauch-Eiei und Neugeborenenstreicheln finden in der Realität nicht statt. Der Kreißsaal ist eine Notaufnahme.

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In der Diskussion um die Neuregelung der Ärztearbeitszeiten und die Gehaltsverhandlungen liest und hört man als Ärztin vieles – vorzugsweise von "Fachfremden" –, was oft nicht nachvollziehbar und häufig einfach unwahr ist. Auch das neue Arbeitszeitgesetz stellt sich für mich – ich habe nicht ausoptiert, das heißt, ich darf im Mittel maximal 48 Stunden pro Woche arbeiten – in der Realität als Farce dar.

Ich möchte die Realität des Spitalsarzt-Daseins an meinem Bespiel verdeutlichen: Assistenzärztin an einer Universitätsklinik im Fach Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Derzeit bin ich im Kreißsaal tätig, was nicht nur "schöne Geburten" beinhaltet, sondern leider auch viele Akutsituationen wie massive Blutungen, vorzeitige Wehentätigkeit mit Frühgeburtsbestrebungen und verschiedene Abstufungen der "Schwangerschaftsvergiftung". Ich mag das Fach und meine Arbeit, aber es ist anstrengend!

Der Kreißsaal als Notaufnahme

Babybauch-Eiei und Neugeborenenstreicheln finden in der Realität nicht statt. Vielmehr ist der Kreißsaal eine Notaufnahme, und man muss triagieren und schnell reagieren. In einem Nachtdienst schlafe ich maximal drei Stunden in Etappen, aber auch das kommt selten vor. Meistens bin ich gezwungen durchzumachen oder bekomme nur eine Stunde Schlaf.

Keine Bereitschaft, sondern durcharbeiten

Der Gesetzesgeber erklärt, dass solche Nachtdienste eigentlich keine sind, sondern eben Journaldienste, also Bereitschaftsdienste, in denen nicht durchgearbeitet wird. Das mag im einen oder anderen Fachgebiet zutreffen, aber in den meisten – so auch in meinem – nicht. Im Journaldienst bin ich alleine im Kreißsaal verantwortlich, wo in der Tagesschicht im Schnitt zwei Oberärzte und zwei Assistenzärzte arbeiten. Das Arbeitsaufkommen hingegen unterscheidet sich nur durch geplante Operationen (Kaiserschnitte), und das sind an unserer Klinik recht wenige.

Meine Realität sieht so aus: In den vergangenen sieben Monaten hatte ich immer sechs Nachtdienste pro Monat, wovon mindestens drei auf einen Tag am Wochenende entfielen. Wie viel privater Erholungswert im Tag nach so einem 25-Stunden-durchgehend-arbeiten-Dienst steckt, mag sich jeder selbst ausdenken.

Dienstplan ohne Alternativen

Man wird im Übrigen nicht gefragt, ob man so viele Dienste beziehungsweise Wochenenden machen mag. Vielmehr bekommt man einen Dienstplan, dem man sich mehr oder weniger beugen muss. Alternativen gibt es nicht. Man muss in Österreich als Ärztin frisch von der Uni zwischen drei und sechs Jahre zusätzliche Ausbildung im Krankenhaus absolvieren, bevor man selbstständig praktizieren darf.

Das neue Arbeitszeitgesetz schlägt sich in meinem Fall folgendermaßen nieder:

Im Jänner arbeite ich laut Diensteinteilung 211 reale Stunden. Dabei hatte ich eine Woche Zeitausgleich, zwei Tage frei nach dem Nachtdienst und drei ersatzfreie Tage für Samstagsdienste – sechs Dienste gesamt, davon drei Samstags-, ein Sonntags-, ein Feiertagsdienst.

Im Februar sind es 196 reale Stunden laut der Diensteinteilung: drei Tage frei nach dem Nachtdienst und ein ersatzfreier Tag für Samstagsdienst, zwei Tage Zeitausgleich – vier Dienste gesamt, davon ein Samstags-, ein Sonntagsdienst.

Im März sind es 228 reale Stunden laut Diensteinteilung: drei Tage frei nach dem Nachtdienst und ein ersatzfreier Tag für Samstagsdienst, drei Tage Urlaub – fünf Dienste gesamt, davon ein Samstags-, ein Sonntagsdienst.

62 "normale" Werktage – also Montag bis Freitag – gibt es in den Monaten Jänner bis März 2015. Multipliziert man diese Tage mit durchschnittlich acht Stunden Arbeitszeit pro Tag, kommt man für den Zeitraum auf 496 Arbeitsstunden.

Als Ärztin komme ich in demselben Zeitraum – trotz sieben Tagen Zeitausgleich und drei Tagen Urlaub – auf 637 Stunden. Wenn ich daraus eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit (ohne Berücksichtigung meiner freien Tage) errechne, komme ich immer noch auf 51,4 Stunden pro Woche. Jetzt kommt der Clou: Der elektronische Dienstplanmanager errechnet mit genau denselben Daten für denselben Zeitraum eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 43,7 Stunden. Wie das?

Den meisten Arbeitnehmern werden für Samstage, Sonn- und Feiertage je acht fiktive Arbeitsstunden gutgeschrieben – also quasi als geleistet vermerkt. Nicht so bei Ärzten. So kommt es dann zustande, dass einfache Feiertage bereits zu einem Minus im Wochensoll führen beziehungsweise diese und Urlaubstage zur Relativierung der Wochenarbeitszeitüberschreitung führen, ohne dass der Dienstgeber Zeitausgleich geben muss.

Betrogen um Leben und Lebenszeit

Ich fühle mich betrogen. Von der "Politik", der Standesvertretung und den Arbeitgebern sowieso. Betrogen um mein Leben und meine Lebenszeit. Mit einem freien Wochenende pro Monat lebt man nicht, sondern schützt sich allenfalls vor dem totalen Zusammenbruch.

Ich habe Medizin einzig und allein studiert, weil es für mich nichts Faszinierenderes gab. Dafür habe ich bis zu meinem 24. Lebensjahr gearbeitet, um mir Geld für das Studium zu sparen. Neben dem Studium habe ich selbstverständlich auch gearbeitet und unter der Mindeststudiendauer abgeschlossen.

Frustriert und ausgelaugt

Nun fühle ich mich frustriert und ausgelaugt. Mein "Leben" findet zwischen der Klinik, meiner Wohnung und dem Supermarkt statt. Zu mehr fehlt schlichtweg die Energie. Ab und an bekomme ich gutgemeinte Ratschläge von Freunden, die meinen, ich müsse mich ja nur ein bisschen wehren, und dann müsste ich sicherlich nicht so viele Nächte und Wochenenden in der Klinik verbringen. Beim bereits dritten Dreimonatsvertrag?

Ich überlege, der Medizin den Rücken zu kehren. Für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen ins Ausland zu gehen ist für mich keine Alternative. Doch das Gesundheitssystem hierzulande speist mich im Schnitt mit einem Stundenlohn von 7,78 Euro netto ab – womit ich noch zu den Besserverdienenden unter den Assistenzärzten zähle. Das derzeitige "Ärztebashing" tut seinen Teil dazu, dass auch mein Verpflichtungsgefühl gegenüber dem Gesundheitssystem grobe Schrammen bekommt. (Anne Vian, derStandard.at, 30.1.2015)