"Fluide Glacial" muss wohl keinen Anschlag fürchten. Proteste aus China gegen das umstrittene Cover zur "Gelben Gefahr" gab es aber

Foto: Fluide Glacial

Windböen, Dauerregen. Friedhofswetter. Nicht einmal die Straßenschilder, die in der Comics-Hauptstadt Angoulême in Form von Sprechblasen gehalten sind, können die vielen tausend Besucher aufheitern. Die Polizei ist omnipräsent. An vielen Fassaden hängt wie ein Trauerflor der Slogan "Je suis Charlie". Der Marktplatz wurde in "Place Charlie" umgetauft.

Das internationale Comics-Museum hat in aller Eile eine "Charlie Hebdo" -Ausstellung auf die Beine gestellt. Vor den Werken der ermordeten Zeichner Charb, Wolinski oder Cabu verkneifen sich nicht alle das Lachen. "Wie schrecklich!", glucksen drei ältere Damen über die Titelblätter des Charlie-Vorgängers "Hara-Kiri". Ein Schneemann als Phallus ist noch harmlos. "Nach der Vergewaltigung – ein Perrier", lautet die Illustration einer lädierten Dame in Form einer Fake-Werbung.

Scherze über de Gaulles Tod

So geschmacklos wie möglich: So lautete das politische Programm der Zeichner, denen nichts heilig war. Nicht einmal ihre linke Gesinnung. "Nützen die Arbeiter die Streiks aus, um ihre Mätressen zu besuchen?", hieß nach Mai 1968 die Titelfrage zu einer Bettszene. Zum Tod des Landeshelden Charles de Gaulle titelte "Hara-Kiri" in Anspielung auf einen früheren Diskobrand: "Tragischer Ball – ein Toter." Darauf wurde das Blatt dann doch verboten. Es erschien eine Woche später als Charlie - eine letzte Verulkung des großen Charles.

"Faustschlag ins Gesicht"

Im Kiosk des Museums liegt Voltaires Traktat über die Toleranz, daneben ein Werk des Charlie-Autors Cavanna, von dem der Spruch stammt: "Humor ist ein Faustschlag ins Gesicht." Im Rathaus der Provinzstadt verleiht Bürgermeister Xavier Bonnefont einen kurzfristig geschaffenen "Spezialpreis Charlie".

Nach dessen salbungsvollen Worten erklärt der Vertreter der Zeitschrift, Jean-Christophe Menu, es gehe wie zu Zeiten der Monarchie um den Kampf gegen die "absolutistische, das heißt absolute Macht". Allzu viele Medien stimmten heute das Hohelied auf die Meinungsäußerungsfreiheit an, aber trauten sich nicht zu schreiben, dass der Bürgermeister von Angoulême vielleicht "un con" (ein Trottel) sei. Der Angesprochene setzt ein gequältes Lächeln auf, applaudiert aber am Schluss wie das ganze Publikum: Satire ist in Frankreich keine philosophische These, sondern gelebte Respektlosigkeit.

Keine Einzelerscheinung

Draußen, direkt vor dem Rathaus, hat "Charlie Hebdo" den besten Standplatz erhalten. Der frierende Vertreter freut sich, dass er in wenigen Stunden 15 Abos verkauft hat, und verteilt als Geschenk die Ausgabe mit Mohammed auf dem grünen Titelbild.

Auf dem Marsfeld, wo die größten Verlage ihre Alben feilbieten, wird schnell klar, warum Frankreich nicht nur das Land der Literatur, sondern auch der Malerei, des Kinos – und eben auch der "Bande dessinée"ist. 2014 gab es in Frankreich fast 4000 Comics-Neuerscheinungen, inklusive Zeitschriftentitel. "Charlie Hebdo" ist keine Einzelerscheinung, sondern in einer breiten Tradition verankert. An den Ständen in Angoulême gibt derzeit zum Beispiel auch "Fluide Glacial" zu reden: Die Zeitschrift mit dem rabenschwarzen, an sich unpolitischen Humor macht sich bitterböse über "die gelbe Gefahr" lustig, die in Form chinesischer Touristen und Geschäftsleute über Paris schwappe.

Dreckiger Krieg des Humors

Das Cover mit einer Rikscha, in der ein protzender Chinese eine Französin an der Seine ausfährt, brachte "Fluide Glacial" keinen Besuch von Terroristen, aber einen diplomatischen Protest Pekings ein. Chefredakteur Yan Lindingre nimmt es gelassen. "Ich bin bereit, mit China einen Krieg des Humors zu beginnen", lacht er. "Und wir haben spitze Federn!"

Darüber hinaus gehend meint Lindingre, die französische Satire sei auch der Spiegel der umfassenden Macht, über die der Zentralstaat in Paris - wie Gott im Himmel – verfüge. Ist sie vielleicht so rotzfrech und radikal, weil sie die Grenzen, die ihr die Obrigkeit wie einem Hofnarren gesetzt hat, aus revolutionärem Prinzip nicht akzeptieren kann? Satire à la française muss auf jeden Fall schockieren.

Humor ist daher oft Nebensache. Schon deshalb aber können sich nicht alle damit anfreunden. Aber bei aller Grenzüberschreitung können die französischen Satiriker etwas für sich in Anspruch nehmen: Sie sind, eben weil sie einer revolutionär-republikanischen Haltung verpflichtet sind, nicht rassistisch, und sie sind auch nicht antisemitisch, auch nicht antiislamisch. Darin besteht das furchtbare Missverständnis um die Mohammed-Karikaturen von "Charlie Hebdo". (Stefan Brändle aus Angoulême, DER STANDARD, 31.1.2015)