ÖVP-Jungstar Sebastian Kurz will also "Integrationsunwilligkeit" mit Geldstrafen und Sozialarbeit - auf Nachfrage versteht er darunter intensives Tafelputzen - sanktionieren. Und nicht wenige pflichten ihm bei: Muss man doch noch sagen dürfen!

Natürlich darf und muss man die Probleme konkret benennen: etwa die Tatsache, dass fast 80 Prozent der türkischen Eltern maximal eine Pflichtschule besucht haben, dieser Anteil bei "ex-jugoslawischen" Eltern immer noch die Hälfte ausmacht und bei Eltern ohne Migrationshintergrund mit etwa 20 Prozent deutlich geringer ist. Andere Länder haben darauf erfolgreich reagiert. Das zeigt etwa die Ties-Studie über die "Integration der zweiten Generation von Zuwanderern". Das wenig überraschende Ergebnis: Kinder türkischer Eltern haben in Österreich signifikant weniger Bildungschancen als in Schweden.

"Es geht um Fakten", schreibt Andreas Koller in den Salzburger Nachrichten und verweist darauf, dass jedes vierte Kind mit Migrationshintergrund, aber nur jedes 20. ohne Migrationshintergrund die Schule abbricht. Richtig: Genau das ist das Problem. Die Ursache dafür ist aber nicht "mangelnde Integrationswilligkeit", sondern ein veraltetes Schulsystem, das den Schulerfolg behindert und Kinder, Eltern und Lehrkräfte mit den Problemen alleinlässt.

Sprachstandsfeststellungen belegen, dass vor allem Kinder mit Deutsch als Zweitsprache vom mehrjährigen Besuch des Kindergartens stark profitieren. Bei einjährigem Kindergartenbesuch weisen nur 23 Prozent der Migrantenkinder die erwünschte Sprachkompetenz auf, bei ab zweijährigem Besuch verdoppelt sich die Zahl, bei besonders schwachen Kindern steigt der Wert sogar von 18 auf 46 Prozent.

Ähnliche Ergebnisse gibt es bei Fördermaßnahmen im Volksschulbereich. Integrationsunwilligkeit oder Chancenlosigkeit? Wer türkischstämmige Kinder und Jugendliche in unserem Schulsystem alleinlässt, darf sich nicht wundern, wenn es Probleme gibt. In Sachen Bildungsgerechtigkeit liegt Österreich im OECD-Vergleich ganz hinten. Kein Wunder: In anderen Ländern gibt es ein Recht auf eine adäquate Förderung - in Finnland beispielsweise werden Kinder mit Leseschwächen in Kleingruppen von speziell ausgebildeten Lehrkräften unterstützt.

Und Österreich? Da fällt dem "Integrationsminister" ein, es handle sich um "Integrationsunwillige", die man mit Tafelputzen und Sozialdiensten bestrafen müsse. Das ist genau das, was das Problem verschärfen wird: Herabwürdigung und als ungerecht empfundene Strafen sind ein hochwirksames Rezept für Resignation ebenso wie für Aggressivität. Über die sozialen Folgen solcher Sonderbehandlungen braucht man nicht lange zu rätseln.

Was also tun? Etwa zehn Prozent des Personals in skandinavischen Schulen sind Sozialarbeiter, Fachkräfte für Legasthenie oder Dyskalkulie, jede große Schule hat einen Schulpsychologen. Und Österreich? Hier kommt ein Schulpsychologe auf über 8200 Schülerinnen und Schüler. In Vorarlberg beträgt die Wartezeit für die Inanspruchnahme des schulpsychologischen Diensts laut den letzten mir zur Verfügung stehenden Zahlen 57,6 Tage. Lehrkräfte werden mit den Problemen alleingelassen.

Kurz, Voves und Niessl wollen diese Probleme mit Strafen lösen. Schon vor drei Jahren hat Sebastian Kurz eine ähnliche Debatte ausgelöst: Ohne Zahlen nennen zu können, behauptete er, es gebe bei migrantischen Fami- lien deutlich mehr Schulpflichtverletzungen als bei anderen. Bis heute ist er den Beweis für seine Behauptung schuldig geblieben. Das Ergebnis: Im Schulpflichtgesetz wurde ein Paket gegen das "Schulschwänzen" geschnürt, das einen hochbürokratischen fünfstufigen (!) Plan zur Einbindung von Lehrern, Beratern, Schulaufsicht und Jugendhilfe sowie Verwaltungsstrafen für Eltern bis zu 440 Euro vorsieht. Das Ganze diente und dient heute nur einem Zweck: von den wirklichen Problemen unseres Schulsystems abzulenken.

Auf den im Schulbereich seit Jahrzehnten herrschenden Reformstillstand mit der Forderung nach Strafzahlungen für "Integrationsunwilligkeit" zu reagieren ist ein Aufruf zur Steinzeitpädagogik. Und ein Schuss in den Ofen des allerbilligsten Populismus. (Harald Walser, DER STANDARD, 31.1.2015)