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Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter sind ein relativ unerforschtes Phänomen.

Foto: KIM HONG-JI/reuters

Für diese Diagnose muss man kein Arzt sein: Gefühlsschwankungen, das Vermeiden von Alleinsein, Impulsivität, scheinbar grundloser Ärger - das sind klassische Symptome der Pubertät. Halten diese Zustände über einen längeren Zeitraum an und sind extrem ausgeprägt, könnten sie jedoch bereits erste Anzeichen einer Persönlichkeitsstörung sein, sagen Innsbrucker Forscher. Das habe die Medizin bloß über lange Zeit hinweg ignoriert.

Chronifizierung verhindern

"Bei zehn Prozent der erwachsenen Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung hätte man diese bereits in der Jugend feststellen können", sagt Kathrin Sevecke, Direktorin der Innsbrucker Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Sie ist der Ansicht: Eine frühzeitige Diagnose hätte diesen Menschen geholfen. "Durch Therapie kann man schließlich eine Chronifizierung verhindern."

Diese These ist in der Fachwelt nicht unumstritten. Bis vor einigen Jahren war es absolut unüblich, Jugendlichen eine gestörte Persönlichkeit zu attestieren. Die Angst: einem jungen, unausgebackenen Menschen ein Stigma aufzudrücken - mit einer Krankheit, der er vermeintlich hilflos ausgeliefert ist.

"Das ist nicht mehr zeitgemäß. Wir wissen, dass unsere Persönlichkeitsentwicklung nicht mit dem 18. Lebensjahr abgeschlossen ist, sondern das ganze Leben lang andauert, und Persönlichkeitsstörungen sind inzwischen gut behandelbar", sagt der Kinderpsychiater Martin Fuchs.

Unerforschtes Phänomen

Als Persönlichkeitsstörung werden extreme Varianten an sich normaler Persönlichkeitsmerkmale bezeichnet: wenn einen also die Spontaneität ständig unüberlegt handeln lässt oder die eigene Impulsivität regelmäßig zur Gefahr wird. Es gibt die ängstlich-vermeidende und die abhängige Persönlichkeitsstörung, Schizophrenie, Borderline. Eine antisoziale Persönlichkeitsstörung ist, was man landläufig als Psychopathie bezeichnet.

Im Jugendalter sind Persönlichkeitsstörungen allerdings ein relativ unerforschtes Phänomen. Es gibt kaum valide Zahlen und Daten. "Borderline diagnostizieren wir am häufigsten. Dieses Syndrom führt allerdings gerade bei Jugendlichen zu heftigen Symptomen, weshalb diese Patienten übermäßig oft eine Ambulanz aufsuchen", sagt Fuchs. Am zweithäufigsten würden Sozialverhaltensstörungen auftreten.

Störungen nehmen zu

Fuchs beschäftigt sich derzeit auch mit einem möglichen Zusammenhang zwischen Aufmerksamkeits- (ADHS) und Persönlichkeitsstörungen: "Es gibt da wesentliche gemeinsame Verhaltensmuster, und beide Störungen haben eine gewisse genetische Veranlagung gemein."

Fest steht für Fuchs wie auch für Sevecke: Die Anzahl an emotionalen Störungen nimmt bei Jugendlichen kontinuierlich zu. Allein in Tirol würden statistisch gesehen rund 4.000 der aktuell 14- bis 18-Jährigen bereits Auffälligkeiten zeigen - die meisten blieben aber undiagnostiziert.

Eine Zahl gilt allerdings auch als gesichert: Egal ob behandelt oder nicht, bei 85 Prozent der Patienten mit Persönlichkeitsstörungen sind die Symptome nach zehn Jahren abgeklungen. (Katharina Mittelstädt, DER STANDARD, 31.1./1.2.2015)