"Gewissheit ist die Domäne aller Fundamentalisten", sagt Rektor Gerald Bast. Er schlägt Projektwochen an Schulen vor, bei denen die Werte der Aufklärung vermittelt werden sollen.

Foto: Standard/Hendrich

"Wir können damit den Status quo weiterführen, aber wir können die anderen nicht überholen", Bast zum aktuellen Uni-Budget.

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Zur geringen Anerkennung von Wissenschaft und Kultur in der Bevölkerung sagt Bast: "Ich bin der Meinung, dass wir mit Politikerbashing nicht weiterkommen. Die Politiker spiegeln nur das wider, was in der Bevölkerung als Grundstimmung herrscht."

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Schüler müssen den "Umgang mit Ungewissem erlernen" ist Gerald Bast, Rektor der Universität für angewandte Kunst in Wien, überzeugt. Nur wer mit dem Zweifel umgehen könne, sei auch gegen radikale Ideologien immun. "Diese Ideologien befriedigen die Sehnsucht nach einfachen Antworten. Dort gibt es keine Zweifel. Gewissheit ist die Domäne aller Fundamentalisten, egal wo", sagt er. Das geringe Uni-Budget zwinge zu Pragmatismus, sagt Bast. "Das ist die konkrete Politik, und offenbar haben die Wissenschaften und die Künste noch immer zu wenig Lobby in diesem Land und in Europa."

STANDARD: Nach den Terroranschlägen auf "Charlie Hebdo" fordern Sie eine stärkere Verankerung der aufklärerischen Werte Europas an Schulen und Universitäten. Wie kommen Sie darauf, dass diese nicht gelehrt werden?

Gerald Bast: Sie werden nur in einer marginalen Form unterrichtet. Wir haben auch von Politikern und Politikerinnen gehört, dass es Mängel gibt. Gleichzeitig wurde gesagt, dass wir kein Geld haben. Trotzdem wurde im Rekordtempo ein Sicherheitspaket um 290 Millionen Euro durchgewinkt. Das ist der falsche Ansatz. Wir erleben ein Problem im Umgang mit unseren sogenannten europäischen Werten, also Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Toleranz. Die Schüler hören vielleicht, dass es so etwas wie die europäische Erklärung der Menschenrechte gibt. Es geht aber um viel mehr.

STANDARD: Wie sollte stattdessen unterrichtet werden?

Bast: Insbesondere sollte es Unterricht in Grundwerten geben, und zwar nicht getrennt nach Fächern und in Fünfzig-Minuten-Einheiten. Es könnte jedes Semester eine Projektwoche stattfinden, an der diese gesellschaftlichen Werteskalen in Theorie und Praxis in unserer konkreten Lebenswirklichkeit behandelt werden. So etwas sollte es von der ersten Klasse bis zur Matura geben. Das ist mindestens so wichtig wie das große Einmaleins.

STANDARD: Wieso sollte Projektunterricht über die Werte der Aufklärung der Faszination Jugendlicher für radikale Ideologien, wie sie etwa die IS propagiert, entgegenwirken?

Bast: Das Erschreckende ist, dass Menschen, die mehr als zehn Jahre in unserer sogenannten aufgeklärten westlichen Gesellschaft sozialisiert wurden, fasziniert sind von der IS, aber auch von rechtsradikalen Ideologien. Diese Ideologien befriedigen die Sehnsucht nach einfachen Antworten. Dort gibt es keine Zweifel. Gewissheit ist die Domäne aller Fundamentalisten, egal wo. Wir müssen den Umgang mit Ungewissheit erlernen. Dafür sind die Künste zentral. Sie akzeptieren, dass Unsicherheit ein zivilisatorisches Element ist.

STANDARD: Sie schlagen also mehr Kunstunterricht vor?

Bast: Das muss interdisziplinär angelegt sein. Mit Kunst, Geschichte, Philosophie, Geografie und Wirtschaftskunde. Wir brauchen einen dramatischen Paradigmenwechsel im Bildungssystem. Mit dieser Fragmentierung von Bildung kommen wir nicht weiter, das gilt auch für die Universitäten.

STANDARD: Was würden Sie an den Universitäten ändern?

Bast: Die Fragmentierung der Wissenschaften war zum Teil als Voraussetzung für den unglaublichen Zugewinn an Wissen notwendig. Dabei sind Instrumente verloren gegangen, um die Zusammenschau zwischen diesen vielen großen Wissenstürmen zu ermöglichen. Wir brauchen Leute, die zwischen den Disziplinen vermitteln. Dazu wäre ein Pilotstudium in ein oder zwei großen Universitätsstädten notwendig, wo so etwas auf Bachelorebene vermittelt wird. Es soll einen Überblick und Vermittlungsfähigkeit zwischen Sozial-, Wirtschafts-, Geistes-, Kulturwissenschaften und Natur und Technik geben.

STANDARD: Warum braucht man ein eigenes Studium? Warum nicht einfach die Zusammenarbeit verbessern?

Bast: Es braucht einen institutionellen Rahmen. Derzeit finden wissenschaftliche Karrieren nur in Disziplinen statt. Es ist sehr schwer, interdisziplinäre Forschung zu machen. Im Mittelpunkt der Forschung sollten die großen Herausforderungen unserer Gesellschaft stehen: Wie gehen wir mit Migration und Freiheit um? Was bedeutet die Digitalisierung? Was Alter und Krankheit, Gesundheit?

STANDARD: Als es um die Uni-Budgetverhandlungen ging, haben Sie mindestens eine Milliarde mehr für die Jahre 2016 bis 2018 gefordert. Es wurde ein geringes Budgetplus von 615 Millionen Euro. Welche Konsequenzen hat das?

Bast: Wir können damit den Status quo weiterführen, aber wir können die anderen nicht überholen. Das ist die konkrete Politik, und offenbar haben die Wissenschaften und die Künste noch immer zu wenig Lobby in diesem Land und in Europa.

STANDARD: Eine Lobby wäre auch die Universitätenkonferenz, deren Vizepräsident Sie sind. Die Uniko war mit den 615 Millionen zufrieden. Proteste sind ausgeblieben. Warum?

Bast: Man wird zum Pragmatismus gezwungen.

STANDARD: Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Sie beklagen, dass die Wissenschaft keine Lobby hat, akzeptieren aber das geringe Budget. Wie soll das Geld mehr werden?

Bast: Man muss zugestehen, dass Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner ein völliges Abstürzen der Universitäten verhindert hat. Wenn diese 615 Millionen nicht gekommen wären, dann können Sie sicher sein, hätte es von den Universitäten einen riesigen Aufschrei gegeben. Ich bin der Meinung, dass wir mit Politikerbashing nicht weiterkommen. Die Politiker spiegeln nur das wider, was in der Bevölkerung als Grundstimmung herrscht. Wir können in diversen Studien nachlesen, dass Wissenschaft und Kunst einen marginalen Stellenwert haben. Die Frage ist, wie Druck auf die Politik ausgeübt werden kann, wenn sie weiß, dass in der breiten Bevölkerung Wissenschaft gar nicht das zentrale Thema ist. (Lisa Kogelnik, DER STANDARD, 3.2.2015)