Karlheinz Essl betrachtet sich als "Botschafter der Aborigines" und verfügt über eine der größten Kollektionen ihrer Kunst in Europa. Im Bild: Rover Julama Thomas mit Erdpigmenten gemaltes Gemälde "Bamarr Country" (1994).

Foto: Graham Baring

Klosterneuburg - In Zeiten wie diesen überkommt einen leicht die Sehnsucht nach dem ursprünglichen, unverfälschten Leben, nach einem Leben im Einklang mit der Natur, das nicht vom wissenschaftlichen Röntgenblick entzaubert ist, sich fernab von Technologie, Kapitalismus, rücksichtsloser Individualisierung abspielt.

Seit Friedrich Schiller das aufklärerische Ideal der Gesellschaft als Uhrwerk kritisierte, haben unzählige Künstler die Entfremdung des modernen Menschen durchlebt respektive durchlitten. Fand Schiller jene Kultur, in der "der innere Bund der menschlichen Natur" noch nicht verwundet sei, in der Antike, so beruft man sich in jüngerer Zeit vor allem auch auf indigene Kulturen. Einem "paläolithischen Geist" verbunden, schuf etwa die Künstlerin Ana Mendieta in der Natur Werke, die sich wie Kulturrelikte ausnehmen und hinter denen die Künstlerinnenpersönlichkeit möglichst verschwinden sollte.

Tatsächlich sind die Versuche moderner Menschen, ihre "verlorene Kindheit" (Schiller) zurückzugewinnen, recht begrenzt. Etwa, weil die Aufgeklärtheit ab einem gewissen Punkt schwer zu hintergehen ist. Was bleibt, ist jedenfalls die Möglichkeit der Annäherung oder gar Bewunderung.

Er habe "mit offenen Augen geträumt", schreibt Sammler Karlheinz Essl über seine Begegnung mit der Kultur der Aborigines. Mit der Ausstellung Aboriginal Art lädt sein Kurator Andreas Hoffer dazu ein, an Essls Traum - sowie den "Dreamings" der Aborigines - teilzuhaben. Er habe nirgends so viel "Verständnis für die Natur und das Menschsein" entdeckt, so Essl weiter im Katalog.

Nun hat aber auch der Terminus "Aboriginal Art" etwas Zwiespältiges: Es ist damit keine Kunst gemeint, die unmittelbaren Einblick in die kulturellen Praktiken der australischen Ureinwohner gäbe. Vielmehr handelt es sich um einen Begriff, den der Kunstvermittler Geoffrey Bardon 1971 einführte, als er Aboriginal-People dazu anregte, ihre Boden- und Körpermalereien auf Leinwand zu bringen, um sie "bleibend" zu machen. Seither schicken jene, die eigentlich menschliche Äußerungen für flüchtig erachten, "reisende Bilder" um die Welt.

Der Aboriginal-Artist Richard Bell sieht es als Grundproblem, dass die eindrucksvollen Bilder in kräftigen Erdfarben, voller traditioneller Symbole, vor allem für Weiße und für den Markt gemacht sind. Bell selbst betrachtet sich als "Urban Artist". In seine grellen, kulturkritischen Arbeiten integriert er die Bildsprache von Reklametafeln und modernen Medien.

Aboriginal Art zeigt aber auch jene Anfänge, als man noch magische Symbole auf Reisen schickte und sich damit in Gefahr brachte, geheimes Wissen preiszugeben. Dazwischen gibt es viele Gelegenheiten, Kunstwerke, die dem magischen Denken verbunden sind, mit dem Blick heutiger Museumsbesucher zu betrachten. Etwa um festzustellen, dass nicht nur durch Analyse, sondern auch durch ganzheitliches Denken eine Art Röntgenblick zu finden ist: wie etwa Billy Yiriwalas Bild vom Inneren eines Vogels zeigt. (Roman Gerold, DER STANDARD, 3.2.2015)