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Aus Protest gegen die Auspeitschung des saudi-arabischen Bloggers Raif Badawi organisieren die Grünen (im Bild am 30. Jänner) vor dem Abdullah-Zentrum in Wien wöchentlich eine Mahnwache.

Foto: APA / Herbert Neubauer

Manfred Nowak, Professor für Internationales Recht und Menschenrechte an der Uni Wien und bis 2010 UN-Sonderberichterstatter über Folter: "Der Westen hat in relativ arroganter Weise versucht, nur die neoliberale Globalisierung durchzusetzen. Daher auch dieser starke Hass."

Foto: Matthias Cremer

Wien - Drei Freitage hat Raif Badawi seit den ersten 50 Peitschenhieben ohne erneute öffentliche Folterung überstanden. Aber der nächste Freitag kommt. Und von der Strafe, zu der der saudi-arabische Blogger verurteilt wurde, sind noch 950 Schläge offen. Der 31-Jährige hat sich in seinem Blog "Saudi Free Liberals" der Säkularisierung Saudi-Arabiens verschrieben.

Das Schweigen des Dialogzentrums

Nicht nur in Wien wird - organisiert von den Grünen, die die Einbindung von NGOs wie Amnesty International in den Außenpolitischen Rat fordern - seither wöchentlich dagegen demonstriert. Auch diverse politische Protestnoten gingen im saudischen Königshaus ein. Aber in Wien bekam die Empörung über die Körperstrafe für Badawi eine besondere Bedeutung, weil hier seit 2012 das König-Abdullah-Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog (KAICIID) stationiert ist - und sich nachdrücklich weigert, den konkreten Fall und Saudi-Arabien explizit dafür zu kritisieren, sondern "nur" eine allgemeine Distanzierung von jeglicher Gewalt deponierte.

Crash-Interview zu Köpfungen

Außerdem lenkte ein mehr als ungelenkes Interview der mittlerweile zurückgetretenen KAICIID-Generalsekretärin die Aufmerksamkeit auf das Zentrum, aber vor allem auch auf die Menschenrechtsfrage. Die ehemalige Justizministerin Claudia Bandion-Ortner hatte in einem Profil-Interview gesagt, dass in Saudi-Arabien eh "nicht jeden Freitag geköpft wird".

Zu dem Crash-Interview will Manfred Nowak zwar nichts sagen, zur Lage der Menschenrechte aber sehr wohl. Die sieht der Professor für Internationales Recht und Menschenrechte an der Universität Wien nämlich weltweit generell in einer prekären Lage: "Die Menschenrechte sind derzeit wirklich in einer Krise", sagt er im STANDARD-Gespräch. Nowak war selbst viele Jahre als "Uno-Sonderberichterstatter über Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafe" tätig.

Eine "nicht sehr hilfreiche" Konstellation

Er gehöre zu jenen, sagt Nowak, die dem KAICIID "von Anfang an nicht positiv gegenübergestanden sind", weil die Konstruktion - Gründungsmitglieder sind Saudi-Arabien, Österreich und Spanien sowie der Vatikan mit Beobachterstatus - "nicht sehr hilfreich" sei, zumal "Saudi-Arabien eines der Länder ist, in dem Menschenrechte besonders stark verletzt werden, und das sich auch gegen universelle Menschenrechte stellt". Dazu komme der "Führungsanspruch" Saudi-Arabiens in der islamischen Welt, das religiöse über weltliche Regeln stellen wolle.

In Saudi-Arabien war Uno erfolglos

Als Uno-Sonderbeauftragter für Folter habe er mit einem "urgent appeal" an Saudi-Arabien "praktisch nie Erfolg gehabt", während etwa Protest gegen drohende Steinigung von Frauen im Iran "sehr wohl manchmal erfolgreich" war: "Saudi-Arabien ist sicher einer der härtesten Staaten, wenn es darum geht, die Menschenrechtssituation zu verbessern."

Die international "ganz klar verbotene Körperstrafe" gegen Badawi habe die Debatte jetzt zwar aufgeschaukelt, aber, so Nowak: "Diese Strafe hat relativ wenig mit dem Abdullah-Zentrum zu tun." Es sei "ein bisschen hypokritisch", also heuchlerisch, wenn jetzt von politischer Seite - wie etwa von Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ), der damals ja mitgestimmt hat - "so getan wird, als wäre dieses Zentrum dafür da gewesen, Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien zu kritisieren".

Das KAICIID "stärker in die Welt einbinden"

Es gebe internationale Verträge, aus denen man nicht so einfach aussteigen könne. Der Jurist ist dafür, "das Zentrum zu überdenken und zu schauen, ob man mit anderen Partnern etwas Vernünftiges ausverhandeln kann, denn gerade in Zeiten wie diesen, wo Religion in einer verunsicherten Welt eine immer größere Rolle spielt, ist es nicht schlecht, interreligiösen Dialog zu üben." Aber Nowak betont: "Das kann nicht völlig abgehoben sein. Das KAICIID müsste stärker in die reale Welt eingebunden werden. Das wäre schon ein Erfolg."

Die Verantwortung der Religionen

Konkret fordert der Experte: "Man müsste interreligiösen Dialog nützen, um die Religionen auch stärker in Verantwortung zu nehmen für Konflikte und Kriege. Dann ist das etwas Positives."

Er entlässt aber auch "den Westen" nicht aus der Verantwortung. Denn so "simpel, dass nur die islamischen Staaten oder Russland und China für den aktuellen Zustand der Menschenrechte verantwortlich sind, ist es nicht".

Der arrogante Westen

Der Westen müsse sich die Frage stellen, was er falsch gemacht habe: "Nach dem Ende des Kalten Krieges hat der Westen einen großen Fehler gemacht, indem er sich nicht voll hinter alle Menschenrechte - auch soziale und wirtschaftliche - gestellt hat. Stattdessen hat der Westen in relativ arroganter Weise versucht, nur die Globalisierung nach neoliberalen Gesichtspunkten durchzusetzen. Deswegen gibt es auch diesen starken Hass." Es sei höchste Zeit angesichts von Wirtschafts-, Nahrungsmittel- und Klimakrisen "zu schauen, was läuft falsch und einen neuen globalen Grundkonsens zu finden", fordert Nowak. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 3.2.2015)