Karl Meggeneder lebt seit 60 Jahren im Linzer Franckviertel. Der Stadtteil wird in erster Linie von Arbeitern bewohnt, nun bemüht sich eine Initiative um neue Communitys.

Foto: Standard/Werner Dedl

Linz - Eisiger Wind, der Himmel grau in grau, trostlos. Ideale Voraussetzungen, wie Karl Meggeneder findet, denn er will "heut den Leuten die dunklen Seiten" seines Viertels zeigen, in dem er seit 60 Jahren daheim ist. Schließlich lautet ja auch das Thema der Tagung "Stadt im Schatten". Der neu gegründete Linzer Verein Friends of Franckviertel hat sie organisiert, "denn der wahre Zustand einer Stadt zeige sich an ihren Rändern", erklärt Vereinsgründer und Soziologe Peter Arlt.

Zichorienkaffee-Erzeuger

Welche "Akzente" gesetzt werden können, damit das Glasscherbenviertel nicht nur wegen (tödlicher) Streitereien oder Gasexplosionen in Wohnungen von sich reden macht, soll erörtert werden. Zur Einstimmung gewähren Alteingesessene, Mütter, Jugendliche und Migranten auf einer "Tour de Franck" Einblicke in ihre bescheidenen Lebenswelten. Karl redet frei von der Leber weg, dass er seinen Vater, "den Sauschädel", am besten als "Bua erschlagen hätt". Dann wäre er wohl ins Heim gekommen, so lebte er erst in einer Kellerwohnung, dann zehn Jahre lang in einer Baracke und schließlich in einer Arbeiterwohnung. Auch im Franckviertel sei ein sozialer Aufstieg möglich.

Der Stadtteil, eingequetscht zwischen Mühlkreisautobahn und den Gleisen der Westbahn, erhielt seinen Namen von dem Zichorienkaffee-Erzeuger Karl Franck. Seit Ende des 19. Jahrhunderts entstanden in dem Bezirk von Linz (Not-) Unterkünfte für Fabrikarbeiter, Fremdarbeiter und Zwangarbeiter der NS-Rüstungswirtschaft, für Vöestler, ÖBBler und Arbeiter der Chemie. Heute leben in dem 1,5 Quadratkilometer großen Viertel fast 10.000 Menschen. Der Anteil der Nichtösterreicher beträgt ein Fünftel, 80 Prozent der Volksschüler in der Franckstraße besitzen Migrationshintergrund. "Armutspopulation, Zuwanderer und bildungsferne Schichten bestimmen das Bild", erklärt Thomas Mader, Sozialarbeiter im Franckviertel.

Karl hat aus "der Not eine Tugend gemacht", Näheres will er nicht darüber sagen, warum er es nicht zu "einem Häuschen im Grünen" gebracht hat. Aber immerhin mit 16 Jahren übersiedelte der "Barackendackel" (Karl) in ein 24-Quadratmeter-Wohnung; die Nachbarn hatten 36, jedoch zu zwölft. In jedem dieser kleinen Stockhäuser, von denen nur noch fünf erhalten sind, weil sie unter Denkmalschutz stehen, teilten sich vier Parteien einen Wasseranschluss, zwei ein Klo auf dem Flur. In einem der Häuser lernte Karl nach seinem Vater, "den zweiten bösen Mann in meinem Leben kennen": den Inzesttäter von Amstetten Josef F. "Seine Schwiegermutter hat hier gelebt, und die hat er immer besucht".

Heute lebt er einen Straßenzug weiter Richtung Stadt. Doch jetzt geht es zum früheren Tröpferlbad, die öffentliche Badeanstalt wurde vor rund zwölf Jahren geschlossen. "Einmal brausen für drei Schilling, ein Schilling extra für Shampoo. Drei Tage in der Woche war geöffnet", getroffen hat Karl hier viele aus seinem Viertel. Auch die Stadtteilbibliothek wurde vor zwei Jahren aufgelassen - wegen zu geringer Ausleihen.

"Unkomfortable Wirklichkeiten" wie im Franckviertel seien "ungeeignet für smarte Politik", meint auch Arlt. Erst nach "Jahrzehnten des Übersehens" würden nun Substandardwohnungen von den Genossenschaften saniert. "Aus 380 Wohneinheiten wurden 160, die Miete wurde damit teurer. Mit dem Anschluss an die Fernwärme sind die Heizkosten um ein Drittel gestiegen", merkt Karl an.

Neue Community

Mader bewertet die Entwicklung im Franckviertel aber positiv. Bewohner hätten begonnen, sich zu engagieren. Es entstehe langsam eine Community, sagt der Sozialarbeiter. In der Exbücherei eröffneten jetzt die Friends of Franckviertel einen Stadtteiltreff, das Café Franck. Aus Wien wurde das Projekt "Nachbarinnen" übernommen: Migrantinnen werden in den Themen Gesundheit, Bildung, Soziales und Kommunikation unterrichtet. Sie sollen zurückgezogen lebenden Ausländerinnen im Alltag beratend zur Seite stehen.

Dass in "der Stadt im Schatten" etwas in Bewegung gekommen ist, haben inzwischen auch junge Künstler erkannt. Erste Ateliers wie die glasskitchen wurden eröffnet. (Kerstin Scheller, DER STANDARD, 3.2.2015)