In Brüssel wird diese Woche die achte Verhandlungsrunde zu TTIP, dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA, abgehalten. Es ist die erste Runde unter der neuen EU-Kommission von Jean-Claude Juncker. Inzwischen beschwert sich sogar die deutsche Bundesregierung, dass selbst für sie zu wenig Transparenz herrscht. Also wollen wir doch mal das nächste wichtige Dokument ins Licht der Öffentlichkeit stellen.
Die umstrittenen Investitionsschutz-Klauseln (ISDS) und Schiedsgerichte werden derzeit nicht verhandelt, nach der öffentlichen Konsultation mit überwältigender Ablehnung ist dieser Teil ausgesetzt. Es soll jetzt ausschließlich um die gegenseitige Anerkennung von Standards gehen.
Ein in der Vorwoche auf reimon.net veröffentlichtes Dokument zeigt, dass für die Regulierung der Finanzmärkte ein eigenes Forum mit direktem Lobbyzugang eingerichtet werden soll. Dieses Forum würde Parlamenten den Rahmen der Regulierung vorgeben. Ein ähnliches Gremium, das RCC (Regulatory Cooperation Council), soll parallel für alle anderen Branchen geschaffen werden.
Anerkennung von Standards
Diese beiden neuen Institutionen würden erst nach dem Inkrafttreten von TTIP Regeln und Standards für alle Bereiche aushandeln. Alle, die TTIP damit verteidigen, dass durch den Vertragstext kein einziger Standard gesenkt wird, sagen im wortwörtlichen Sinn also sogar die Wahrheit. Das Deregulierungsprojekt beginnt eben erst nach dem Inkrafttreten. Das geht der Industrie allerdings nicht schnell genug. Bis die neuen Regulierungen von den neuen Gremien ausgearbeitet sind, soll es eine gegenseitige Anerkennung von Standards geben, wenn sie eine vergleichbare Wirkung haben.
Aber wie entscheidet man das? Wer legt fest, ob eine US-Regulierung im Kosmetikbereich und ihr EU-Gegenpart vergleichbare Wirkung haben?
Neue Schiedsgerichte
Nun, durch Schiedsgerichte. Die ISDS-Schiedsgerichte aus drei Anwälten sind bekannt, aber TTIP soll solche Sondergerichte nicht nur für Konflikte zwischen Investoren und Staaten, sondern auch für Konflikte zwischen den USA und der EU vorsehen. Hier ist das entsprechende Konzept: TTIP Dispute Settlement.
Also: Wenn sich die USA und die EU nicht einig sind, wie der Vertragstext auszulegen ist – wie weitgehend er zum Beispiel im Bereich der Harmonisierung von Standards angewendet wird, ob eine Ausnahme gilt etc. –, dann wird diese Frage von einem Schiedsgericht bestehend aus drei Personen entschieden. Es soll ein Pool von 15 "Vermittlern" eingerichtet werden, von denen je fünf aus den USA, der EU und Drittstaaten kommen. Das dreiköpfige Schiedsgericht soll in jeder Causa aus diesem Pool gebildet werden, je eine Person aus jeder Gruppe, die Drittstaaten-Bürger sollen den Vorsitz übernehmen. Wenn die Vertreter der EU und der USA sich nicht einig sind, entscheidet also diese Person in einer 2:1-Mehrheitsabstimmung. Es darf aber nicht veröffentlicht werden, ob die Entscheidung einstimmig oder nicht fällt. Diese "Richter" sind aber keine echten Richter, sondern entsprechend dem ISDS-Mechanismus private Wirtschaftsanwälte.
15 Anwälte
Das bedeutet letztlich, dass wir die Auslegung von TTIP nach Vertragsunterzeichnung einem Pool von 15 Anwälten überlassen und die entscheidenden Stimmen sich im Streitfall auf fünf Personen reduzieren. Nochmal: Hier geht es nicht um den Investitionsschutz, sondern den Gesamtvertrag. Also werden zum Beispiel auch Fragen der Produkt- und Lebensmittelsicherheit von Schiedsgerichten verhandelt. Diese zweiten, parallelen Schiedsgerichte waren aber nicht Teil der öffentlichen Konsultation, sondern gehen weit über diese hinaus. Die Meinung der Öffentlichkeit zu ihnen wurde nie abgefragt. Sie waren ja nicht einmal öffentlich bekannt.
Paralleler Gesetzgebungs- und Justizapparat
Dieses Dokument vervollständigt die Struktur an neuen Gremien, die durch TTIP geschaffen werden und die de facto einen parallelen Gesetzgebungs- und Justizapparat für die Industrie schaffen. Das wird heute in Brüssel verhandelt.
Verhandlungen abbrechen
Das ist abzulehnen. Die Verhandlungen zu TTIP sind abzubrechen. Die österreichische Regierung hat das Verhandlungsmandat der Kommission mitunterzeichnet. Kanzler Werner Faymann hat sich inzwischen gegen die Schiedsgerichte beim Investitionsschutz ausgesprochen, er sollte auch jene für Produktstandards ablehnen. Faymann sollte klarstellen, dass die EU-Kommission kein Verhandlungsmandat mehr hat. Es sei denn, er sieht das tatsächlich anders. (Michel Reimon, derStandard.at, 3.2.2015)