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473.000 Österreicher suchen Jobs. Viele in technischen Bereichen bleiben dennoch unbesetzt.

Foto: apa/stratenschulte

Wien - Eine knappe halbe Million Österreicher sind arbeitslos. Es ist ein Mix aus schwacher Konjunktur und wachsendem Angebot an Arbeitskräften, der die Lage kontinuierlich verschärft. Auf die Belebung der Wirtschaft in Europa zu bauen, ist Experten zu wenig. Sie halten ein Bündel an Maßnahmen für nötig, um es aus der Misere zu schaffen. Eine davon ist die Verkürzung der Arbeitszeit.

"Das ist kurzfristig wirksam und langfristig notwendig", sagt Alois Guger, Wirtschaftswissenschafter und langjähriger Berater des Wifo. Österreich müsse endlich davon abkommen, zu glauben, Probleme auf dem Arbeitsmarkt allein über Wachstum lösen zu können. Kürzere Arbeitszeiten sind aus seiner Sicht auch bei gleichen Löhnen finanzierbar - aufgrund der hohen Überschüsse der Leistungsbilanz. Die reale Lohnentwicklung müsse jener der Produktivität folgen.

Eingesparte Arbeit

Dass Österreich durch kurzzeitig höhere Lohnstückkosten Wettbewerbsfähigkeit verliert, bezweifelt Guger. Im Übrigen werde auch in Deutschland kürzer als hierzulande gearbeitet. Ein wichtiger Begleiteffekt einer anderen Arbeitsverteilung sei, dass den Männern damit mehr Zeit bleibe, sich in Erziehungs- und Hausarbeit einzubringen - ein wesentlicher Schritt zur Gleichstellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt.

In Industrie und Dienstleistung stehe ebenso ein neuer Schub an Rationalisierungen bevor wie im Handel, sagt Jörg Flecker, Soziologe der Uni Wien und mehr als 20 Jahre lang Leiter der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt. Es sei offensichtlich, dass Arbeit weiter eingespart werde, "die verbleibende muss daher auf mehr Menschen aufgeteilt werden". Österreich kann es sich seiner Meinung nach nicht leisten, das Thema länger zu ignorieren. Auch aus anderen Aspekten heraus - wie der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und längerer Gesundheit.

Meister der Überstunden

Die Österreicher leisten jährlich 300 Millionen Überstunden und liegen damit in Europa an der Spitze, rechnet Josef Wallner, Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt in der Arbeiterkammer, vor. Ein Teil davon ließe sich sehr wohl in zusätzliche Jobs umwandeln. Wie Guger plädiert auch er für eine Verteuerung der Mehrarbeit für Arbeitgeber. Zumal Österreicher über 60 Jahre auch noch die wenigsten gesunden Jahre in der EU erlebten.

"Jetzt ist der Zeitpunkt, in Alternativen zu denken." Es gehe um mehr Bildungskarenzen, Stipendien für Fachkräfte, bildungsbedingte Auszeiten - um intelligent umgeschichtete Arbeitszeit. Das alles hebe die Produktivität. Stattdessen jedoch "wird Österreichs aktive Arbeitsmarktpolitik finanziell völlig ausgehungert". 1,14 Milliarden Euro seien dafür heuer vorgesehen. Im Vorjahr waren es 1,16 Milliarden. Bis 2017 brechen die Mittel weiter auf 879 Millionen Euro ein, sagt Wallner. "Das sind schwere politische Fehler."

Vorbild Frankreich

Für die Wirtschaftskammer ist jede Arbeitszeitverkürzung ein rotes Tuch. "Das ist die schlechteste Antwort auf die Arbeitslosigkeit überhaupt, eine Umverteilungsfantasie, die noch nie funktioniert hat", warnt ihr Sozialpolitikexperte Martin Gleitsmann. Frankreich habe sich damit komplett vertan, jeder Wirtschaftsstandort werde dadurch geschwächt. Guger lässt das Beispiel Frankreich nicht gelten: "Österreich hat ganz andere strukturelle Voraussetzungen."

Gleitsmann sieht die Crux auf dem Arbeitsmarkt darin, dass Angebot und Nachfrage nicht zusammenpassen: Nach wie vor sei der Fachkräftemangel in vielen technischen Bereichen oder auf dem IT-Sektor enorm. An Arbeitnehmer appelliert er, sich bereits während der Kündigungsfristen neue Jobs zu suchen: Frühere Intervention sei ein Gebot der Stunde.

Aufnahmestopp

Letztlich brauche es viele Ansätze, sagt Flecker. Als unumgänglich hält er aber vielmehr ein Umdenken bei öffentlichen Dienstleistungen. In den Bereichen Bildung, Soziales und Gesundheit gebe es hohen Bedarf an Arbeit, der rasch Jobs schaffe. "Der Aufnahmestopp gehört überdacht."

Den Zustrom an Arbeitskräften aus dem Ausland hält Flecker in absoluten Zahlen gemessen nicht für riesig. Die meisten, ergänzt der AK-Experte Markus Marterbauer, kommen aus Deutschland. Höhere deutsche Mindestlöhne könnten die Zahl der Pendler nun reduzieren. Auch der Zustrom aus Ländern wie Rumänien und Bulgarien habe sich in den vergangenen Monaten abgeschwächt. (Verena Kainrath, DER STANDARD, 4.2.2015)