Ein ungeliebtes Luxusgeschöpf entdeckt die Liebe und wird radikal: Amira Casar als Hanna und Heinz Trixner als ihr siecher Vater in Peter Kerns "Der letzte Sommer der Reichen".

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"Ich mache nur, was ich will.": Peter Kern.

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Berlin - Am Samstag feiert Peter Kerns Der letzte Sommer der Reichen im prestigeträchtigen Zoo-Palast Premiere. Der widerspenstige Regisseur und Schauspieler ist mit seinen Filmen gerngesehener Gast bei der Berlinale. Seine jüngste Arbeit ist ein berückend grelles Melodram um Macht, Geld und erotische Energien. Die Hauptrolle einer innerlich ausgebluteten Millionärstochter hat Kern mit der britischen Schauspielerin Amira Casar besetzt, die ihren Part eigens auf Deutsch lernte.

STANDARD: Für "Der letzte Sommer der Reichen" stand Ihnen endlich wieder ein etwas größeres Budget zu Verfügung. Das kann man am Ergebnis sehen: Sie inszenieren für Ihre Verhältnisse geradezu opulent. Ein Herzensprojekt?

Kern: Der Film hat zehn Jahre Entstehungszeit gebraucht: eine Kette von Verzweiflungen, Krankheiten, Besetzungsschwierigkeiten und Geldmangel. Schlussendlich haben wir ihn um 400.000 Euro gedreht, gebraucht hätte ich jedoch zweieinhalb Millionen! Ich bin dabei fast draufgegangen. Doch ich bin kompromisslos geblieben und habe gesagt, unter einem Minimum mache ich es nicht. Alle meine Filme sind letztlich Selbstausbeuterfilme.

STANDARD: Im Zentrum steht Hanna, Mitglied einer großbürgerlichen Unternehmerfamilie, die sich als Mäzenin versucht. Was hat diese dekadente Figur inspiriert?

Kern: Mir geht es immer um Verlorene, Vergessene, Unterdrückte oder Begrabene, die ich wieder ausbuddle. Hanna fühlt sich ungeliebt, zugleich erfüllt sie alle unsere Luxus- und Schadenfreudebilder. Sie ist dem Tode näher als dem Leben. Sie geht sogar zu einer Hure, lässt sich anpissen und auspeitschen, nur um sich ein wenig zu spüren und ein Gefühl für das Leben zu kriegen.

STANDARD: Und sie sehnt sich auch mit Gewalt nach Liebe.

Kern: Was sie sich nie vorzustellen vermochte, die absolute Liebe, erscheint ihr in der Figur einer Nonne. Und sobald sie liebt, wird sie auch radikal. Im Café fährt sie mit dem Fuß ins Geschlecht der anderen. Sie ist bereit, all den Reichtum aufzugeben, denn der großen Liebe ein Schloss zu schenken, das ist das Allergrößte.

STANDARD: Sie arbeiten mit grellen Gegenüberstellungen, etwa dem Geldadel und der Unterwelt. Was verbindet denn diese Pole?

Kern: Das soll zeigen, dass sich auch die Reichen herablassen. Sie suchen die dunkle Welt derer, die nichts haben. Denn sie sehen in diesen Menschen mehr Glück, Lebensfreude, Liebe. Ein Bier ist diesen Leuten wichtiger als Geld.

STANDARD: Ist das nicht ein wenig zu romantisierend?

Kern: Vielleicht, aber das braucht es manchmal, der Film ist schließlich ein Melodram. Man kann das nicht mit Metaphern lösen. Man muss zeigen, wie es ist. Im Sumpf steckt auch ein Stück Wahrheit. Was in österreichischen Filmen fehlt, gibt es in meinen Filmen fast zu viel: Sinnlichkeit. Sinnlichkeit und Humor. Das kommt sonst nicht vor.

STANDARD: Die Sinnlichkeit beginnt bei der Kamera, die diesmal besonders barock erscheint - mit Kranfahrten, Kreisbewegungen, Pans.

Kern: Ich arbeite wahnsinnig gerne mit Kränen, kann sie mir bloß nicht leisten. Die Kamera übernimmt dabei die Führung der Geschichte, weil sie auf Details zufährt. Daraus ergeben sich klare Linien innerhalb der Szenen. Ich halte Filme, die so viele Schnitte haben, nicht aus, da komme ich mit dem Denken nicht nach.

STANDARD: Hannas Assistent Boris ist biografisch inspiriert, oder?

Kern: Ja, Herrn Boris hat's gegeben. Das war ein schwuler Bekannter von mir aus Düsseldorf, ein Lebemann. Er hat sich auch in der Gosse am wohlsten gefühlt, war aber eigentlich Diamantenhändler. Irgendwann ging' s ihm ganz schlecht, da habe ich ihn zu mir gebracht - daraus wuchs eine sehr enge Freundschaft. Und eine Gegnerschaft - das brauche ich, denn Ja-Sager langweilen mich, ich suche die Kontroverse. Boris war CDU-nahe, aber ich wollte aus ihm einen Sozi machen.

STANDARD: Und wie ging das aus?

Kern: Das ist natürlich misslungen - vor allem nach der vierten Flasche Wein. Was haben wir gelacht! Ein Grund für die Katastrophe der Gegenwart ist ja, dass die Menschen keinen Humor mehr haben. Doch der Grundstein für die Liebe ist Humor.

STANDARD: Beziehen Sie für die Arbeit Kraft aus Gegnerschaften?

Kern: Ich hänge immer im Netz, und das Netz hat Löcher. Ich mache nur, was ich will. Und ich bin präziser als andere, weil ich mir Ausfälle kaum leisten kann. Die Mühe meiner Überlegungen gilt neuen Formen. Ich lebe nicht isoliert im Hühnerstall, sondern bin wachsam. Nur ein wacher Geist kann Dinge erfahren, die veränderbar sind. Trotzdem habe ich nichts verändert. Früher dachte ich, dass das geht.

STANDARD: Sie haben sich zumindest nicht von der Gesellschaft verändern lassen.

Kern: Vor allem nach Talkshow-Auftritten fällt mir das auf: dass mich die Leute lieben. Ich erhalte E-Mails von Zuschauern, die ich mit meiner Ehrlichkeit glücklich mache. Die meisten davon sind Frauen, die mich heiraten wollen, mich in ihre Häuschen einladen, um mit ihnen irgendwelche Skulpturen zu machen. Oh Schreck!

STANDARD: Die Berlinale mag Sie aber auch: Da läuft fast jeder neue Film von Ihnen.

Kern: Anders als in Österreich werde ich in Berlin geliebt. Erstaunlich, wenn man sich anschaut, wie Berlin einst mit Fassbinder umgegangen ist: Er wurde ausgebuht und fertiggemacht. Auch Achternbusch stand heulend da: Er hat sein Herz preisgegeben und wurde dafür ausgepfiffen. Ich hatte schon über zehn Filme auf der Berlinale. Gebracht hat es aber nie etwas. Leider ergaben sich nie Möglichkeiten, einen anderen Film zu machen. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 5.2.2015)