Graz - Am 16. Dezember feierte knapp die Hälfte der jüdischen Gemeinde von Graz Chanukka. "Es war eine sehr schöne, harmonische Feier", erzählt Karen Engel, mehrjährige Kultusrätin der früheren Israelischen Kultusgemeinde (IKG) in Graz. Der Ort des Festes mutet überraschend an, wenn man weiß, dass Graz seit 2000 eine neue Synagoge hat. Man feierte im Afro Asiatischen Institut.
Fusionierung mit Folgen
Dahinter steckt ein seit Monaten schwelender Konflikt innerhalb der jüdischen Community in Graz. Es ist ein Konflikt zwischen großen Teilen der Grazer Juden und der offiziellen Chefin des Israelitischen Kultusvereins (IKV), Ruth Kaufmann. Die Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) für Steiermark, Kärnten und das Burgenland, die ihren Sitz in Graz hatte, wurde 2013 mit der IKG für Wien und Niederösterreich fusioniert. Auch Immobilien und Vermögen der Grazer IKG gingen in die Verantwortung der Wiener über. In Graz wurde der IKV gegründet, der etwa Feiertage in der Synagoge ausrichten soll. Während in Graz etwa 130 Juden leben, sind in dem von Kaufmann gegründeten Verein, wie sie sagt, "ungefähr zehn Mitglieder".
Antony Scholz, einst Vizepräsident der steirischen Kultusgemeinde, sagt, man habe versprochen, dass alle Mitglieder der aufgelösten steirischen IKG "automatisch in den IKV aufgenommen" werden. Doch das sei nicht der Fall. Man fühle sich vom jüdischen Leben ausgeschlossen. Ein Sammelantrag von rund 30 Personen samt Brief mit Kritikpunkten blieb ohne Wirkung, so Scholz.
Streit um Zugang zur Synagoge
Zum Vorwurf, Securitymänner würden Mitglieder einer jüdischen Familie nicht in die Synagoge lassen, meint Kaufmann: "Kein Mitglied der IKG wird am Betreten der Synagoge gehindert." Nachsatz: "Wer keine jüdische Mutter hat, kann nicht IKG-Mitglied sein. Ich kann die jüdischen Gesetze nicht ändern." Wenig später erzählt Kaufmann, dass sie selbst mit 60 Personen in der Synagoge Chanukka gefeiert habe, "von denen 30 keine Juden" seien.
"Man muss nicht Mitglied der IKG Wien sein, um die Synagoge zu betreten. So zu argumentieren ist schwachsinnig", befindet Karen Engel, selbst Mitglied der IKG.
Sie hinterfrage vor allem Kaufmanns Führungsstil. Etwa ein Holocaustgedenkzentrum in der Synagoge zu installieren, ohne dies die Gemeinde zu fragen. "Ich finde es bedenklich, dass meine jüdische Identität nur mit der Shoah verknüpft wird", sagt Engel. Dass in der geplanten Dauerausstellung das Leben von Kaufmanns Vater dargestellt wird, irritiere zusätzlich. Darauf angesprochen, räumt Kaufmann, die das Konzept selbst schrieb, ein, dass jetzt "auch die Biografien anderer Grazer Juden", die vor den Nazis flohen, eingebaut werden.
Stadt Graz als Vermittlerin
Die Stadt Graz und das Land wollen das Gedenkzentrum mit je 50.000 Euro fördern. Am Freitag trafen sich Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP), Vizebürgermeisterin Martina Schröck (SPÖ) und Kulturstadträtin Lisa Rücker (Grüne) in Graz mit Kaufmann und IKG-Chef Oskar Deutsch. Man habe dabei "auch ein wissenschaftlich fundiertes Konzept verlangt", sagt Rücker. Jetzt versuche man zu vermitteln. Auch im Büro Nagl ist der offene Konflikt längst bekannt. Ein Gespräch mit Kaufmanns Kritikern folgt demnächst.
Das Bibelzitat "Mein Haus soll ein Bethaus für alle Völker sein" prangt am Eingang der Grazer Synagoge. "Aber das Haus ist nicht einmal mehr für das eigene Volk geöffnet", beklagt Kathrin Ruth Lauppert-Scholz, Exsekretärin von Kaufmann in der IKG Graz. Als 2014 Zeitzeugen aus Israel und Kanada zu einer Stolpersteinverlegung kamen, wurde auch ihnen der Besuch von Synagoge und jüdischem Friedhof verwehrt. Kaufmann erklärt die neuen Regeln: "Wer sich zwei Wochen vorher anmeldet, darf hinein."
Bei der Chanukkafeier habe man die Frist eingehalten. Ohne Erfolg, weshalb man ins "Afro" auswich, ärgert sich eine Jüdin.
"Völlig aufgeblasener" Konflikt
Für Oskar Deutsch ist das alles "völlig aufgeblasen". Über Graz befragt, sagt er, "es gibt zurzeit gar keinen Konflikt". Und: Chanukka dauere nun einmal acht Tage: "Da kann man nicht an jedem einzelnen Tag eine Feier machen."
Die unzufriedenen Grazer Juden haben aber auch Verbündete in Wien: Martin Engelberg brachte schon im Vorjahr einen Antrag im Vorstand der IKG ein. Er befand, man solle die Vorwürfe prüfen. "Das wurde von Ossi Deutsch abgeschmettert", sagt Engelberg. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 5.2.2015)