Die 1125 Kilometer lange "Tortilla Wall" zwischen der Wohlstandsinsel USA und Mexiko reicht bis in den Pazifik: Das Niemandsland Amexica hat Adrien Missika für "As the Coyote flies" mittels Drohne ausgespäht.

Foto: Adrien Missika

Wien - Wo sonst könnten die Utopier leben als auf einer Insel? Thomas Morus begründete mit seinem 1516 erschienenen Roman zum Staate Utopia den Begriff der (Sozial-)Utopie und entwarf eine ideale Gesellschaft mit nichtexistentem Privateigentum, Krankenversorgung und Bildung als beliebtestem Zeitvertreib, ein Gegenbild zu Bestehendem.

Nicht von ungefähr platzierte Morus seine Utopie auf einer Insel, die, umspült vom Meer, der Inbegriff von Abgeschiedenheit und Losgelöstsein ist, ein Ort, den es zwar gibt, aber dessen Existenz womöglich unbekannt, der unentdeckt nicht einmal auf irgendeiner Karte verzeichnet ist. Zugleich ist die Insel also ein Nichtort, der Wortherkunft des griechischen Begriffs "Utopie" entsprechend.

Wirklich existent oder reine Fiktion? Diesen Zweifel säte bereits Morus. Die Literatur- und Philosophiegeschichte ist voll von diesen Motiven; Deleuze etwa sprach von der "einsamen Insel" nicht als geografisch Fixem, sondern vielmehr als imaginärem und mythologischem Raum.

Genau dort setzen Kuratorin Marlies Wirth und Künstler Andreas Duscha mit ihrem Konzept für die Ausstellung Elsewhere. Observations on Islands im Kunstraum Franz-Josefs- Kai 3 an. Die Insel als Vorstellungswelt, so wie im Klassiker der fantastischen Literatur, Adolfo Bioy-Casares' Morels Erfindung (1940), dem erklärten Lieblingsbuch Wirths.

Ein Flüchtender gerät auf eine Insel und stößt dort auf Menschen, die sich später nur als dreidimensionale Projektionen herausstellen. Diese frühen Motive des Virtuellen inspirierten etwa die Fernsehserie Lost, in der das Inselmotiv auch weit über den Ort des Gestrandetseins hinausreicht: Sie dient als Metapher des auf sich selbst Zurückgeworfen-Seins, als Bild für das Bedrohtsein von außen, aber auch durch das, was in einem selbst lauert - und als Raum für das Enigmatische.

Ein wunderbares Bild für die Insel als Zuflucht, als letzten Raum der Freiheit, also als einen utopischen Raum, der sich nicht irgendwo in den Weiten des Universums, sondern hier auf der Erde befindet, ist die Antarktis. Geografisch sogar ein ganzer Kontinent, aber ein nichtdefinierter kultureller Raum. Die Antarktis ist kein Staat, hat kein Volk, keine Flagge. Die Menschen sind hier nur zu Besuch, dürfen forschen und müssen dann wieder gehen - und zwar ohne irgendetwas zu hinterlassen! Thomas Mulcaire hat während zweier Expeditionen den in Beuteln gesammelten Urin zu einem Schriftzug arrangiert: "Friday" - ein Gruß an Crusoes Inselgefährten. Diesen größten Raum der Freiheit fand Maler Peter Doig in der Imagination - sie war seine Insel: Denn der Künstler lebte zwar auf Trinidad, isolierte sich aber zum Malen hinter Beton von den Natureindrücken.

Sich isolieren, sich zur Insel, zur Festung machen, das tut man auch, indem man Grenzen aufzieht: Ein neuer Raum entsteht an dieser Linie, das Niemandsland von Amexica, zwischen den USA und Mexiko, das Adrien Missika mithilfe einer Drohne kartografiert hat. Mit dem Transatlantikkabel wollten sich hingegen zwei "Inseln" einst kommunikativ verknüpfen: Eine Geschichte des Scheiterns, die Andreas Duscha intelligent verdichtet hat.

Auf politische Inseln oder Nischen im gesellschaftspolitischen Gefüge hat es Seth Weiner abgesehen und solche Zwischenräume im Ausstellungsraum als transparente Passagen markiert. Weiner zielt damit auf die aus Steuergründen erfolgte Gründung der Stadt Highland Park (Ford Automobilwerke) inmitten von Detroit ab. Eine auf den ersten Blick unsichtbare Insel ist auch der in einem gigantischen Zementbett liegende L.A. River; als subkultureller Schauplatz ist er ein Eiland mitten im Urbanen. Björn Segschneider hat den Fluss aus ungewöhnlichen Blickwinkeln gefilmt und so in abstrakt anmutende Bilder verwandelt. Ein Eindruck, den die unterlegte Komposition aus Echo-Tonsequenzen verstärkt. Ein betörend schönes Video in einer 13 internationale Positionen umfassenden Schau voller den Geist belebender Inputs. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 5.2.2015, Langfassung)