Als der russische Außenminister Sergej Lawrow am 21. Jänner nach Verhandlungen in Berlin vor die Medien trat, hatte er eine simple Botschaft zu verkünden: Es mögen Tausende im Krieg in der Ukraine sterben, aber es gäbe keine Beweise dafür, dass russische Truppen oder Waffen dies verursachen. "Wenn ihr so sicher seid, das zu behaupten, dann zeigt uns doch die Beweise. Beweist, dass wir etwas getan haben, bevor ihr von uns verlangt, dass wir damit aufhören."
Er bestritt die Präsenz russischer Panzer und Truppen gar nicht. Er behauptete schlicht, dass der Westen nicht wasserdicht belegen könne, dass tausende Soldaten die Grenzen eines souveränen Staates überquert hatten, um Tod und Zerstörung zu bringen.
Und während er in Westeuropa sprach, versank der Osten der Ukraine im Blut. Human Rights Watch erklärte, dass 341 Personen, darunter 71 Frauen und sechs Kinder, im Jänner in der Region Donezk ums Leben gekommen sind.
Am 4. Februar eskalierte die Situation derart, dass EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini eine dreitägige Waffenruhe in der Region forderte: "Die von der separatistischen Offensive ausgelösten Kämpfe, vor allem um Debalzewe, verursachen großes menschliches Leid und hintertreiben alle Bemühungen um eine politische Lösung. Der Beschuss von Zivilisten ist eine schwere Verletzung des Völkerrechts. Artillerie muss aus bewohnten Gebieten abgezogen werden." Einmal mehr blieb der tatsächliche Drahtzieher dieser Verbrechen hinter diplomatischen Formulierungen verborgen.
Die Nato kündigte inzwischen an, dass in den kommenden Monaten sechs Kommandozentren im Osten angelegt würden: in Polen, Rumänien, Bulgarien, Lettland, Litauen und Estland. Dieser Ankündigung vom 30. Jänner ging eine Erklärung voran, dass 5000 Soldaten einer schnellen Eingreiftruppe in der Region stationiert würden. Die Nato begegnet damit dem, was die Diplomatie zu benennen versäumt: den Umstand, dass Russland ein Aggressor in der Ukraine ist und eine Bedrohung für den Rest Europas.
Dennoch wird an der Diplomatiefront das geopolitische Versteckspiel weitergespielt. Dabei gibt Russland nur vor, sich zu verstecken, weil der Westen viel zu zögerlich ist, Wege zu suchen, um den Bluff des Kremls aufzudecken. Die Aussicht, Russland einen Aggressor zu nennen, ist zu erschreckend. Denn das würde bedeuten, dass ein Gründer- und Schlüsselstaat für die Sicherheitsinstitutionen in der Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg all diese Institutionen untergraben und nutzlos gemacht hat. Die Welt aber hat keine Idee, wie man mit dieser massiven Umwälzung umgehen soll.
Paradoxerweise ist eine diplomatische Lösung für die Krise unmöglich, solange die Welt dieses Problem nicht erkennt. Moderne Diplomatie nimmt an, dass alle nach denselben Regeln spielen und zumindest etwas politischen Willen aufbringen, um zu verhandeln, sobald alle an einem runden Tisch sitzen. Sie nimmt auch an, dass Vereinbarungen umgesetzt werden. Das allerdings trifft nicht auf Russland zu seit der Annexion der Krim im März.
Seit damals hat der Kreml schamlos eine Reihe von internationalen Vereinbarungen gebrochen: die Schlussakte von Helsinki, die die territoriale Souveränität von Staaten erklärt; das Budapester Memorandum von 1988, in dem die USA, Großbritannien und Russland die territoriale Integrität der Ukraine garantieren; das Minsker-Abkommen vom September, das eine Waffenruhe in der Ostukraine festlegt, einen Abzug der Artillerie und eine Grenzüberwachung durch die OSZE.
Die Dreiergruppe, die diese Lösung ausarbeitete, ist vermutlich die Fehlbezeichnung des Jahres 2014. Ihr gehörten offiziell Vertreter der Ukraine, Russlands und der OSZE an, obwohl Russland insistierte, keine Konfliktpartei zu sein. Das Abkommen trug zudem fünf Unterschriften: auch jene von Alexander Sachartschenko und Igor Plotnicki, den Führern der selbsternannten Republiken in der Ostukraine. Sie nahmen nicht am diplomatischen Prozess teil, unterzeichneten den Deal aber, den sie seither hunderte Male gebrochen haben, indem sie sich ukrainisches Gebiet einverleibten und hunderte Menschen töteten. Diese Quasistaaten hat niemand anerkannt, auch Russland nicht. Die Ukraine stuft sie als Terrororganisationen ein. Und doch sabotierten sie das letzte Minsker Treffen mit Drohungen, den Krieg vollständig losbrechen zu lassen.
Das Fehlen in Minsk macht deutlich, dass alle Seiten in diesem Konflikt sehr unterschiedliche Interessen haben, die wenig Raum für Diplomatie lassen. Was aber am meisten zählt, sind die Interessen Russlands: Es will eine instabile Ukraine, die auf ihrem Weg nach Europa stolpert. Das wird mit mehr Krieg und einem lang andauernden, eingefrorenen Konflikt im Osten erreicht werden. Die Diplomatie wird warten müssen, bis dieser vorbei ist. (Katya Gorchinskaya, DER STANDARD, 5.2.2015)