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ÖVP-Generalsekretär Gernot Blümel stellte keine Frage zur Gesamtschule: "Die Leute sind so angefressen über diese Türschilddiskussion, dass darüber niemand mehr sprechen will."

Foto: apa/Neubauer

Wien – ÖVP-Mitglieder wollen, dass sich ihre Partei für ein Mehrheitswahlrecht, für mehr Einfluss der Vorzugsstimmen bei der Erstellung von Listen und für die Einführung von Selbstbehalten bei der Gesundheitsversicherung einsetzt. Das hat eine Befragung der Volkspartei für das neue Parteiprogramm ergeben. Für mehr Frauen in der ÖVP gab es anders als bei fast allen anderen Fragen nur eine knappe Mehrheit. Ein Reißverschlusssystem bei der Erstellung der Listen befürworten knapp 57 Prozent der befragten Mitglieder.

Die ÖVP will sich anlässlich ihres 70-Jahre-Jubiläums in diesem Jahr ein neues Programm geben. Im Zuge des Prozesses "Evolution Volkspartei" haben laut Generalsekretär Gernot Blümel 4.000 Personen online über ein neues Programm diskutiert, 5.000 haben an Diskussionsveranstaltungen der Partei teilgenommen. Auch Nichtmitglieder durften mitdiskutieren. Schlussendlich wurden aus den Vorschlägen 39 Fragen formuliert, über die nur Parteimitglieder abstimmen konnten. 13.000 sind dieser Aufforderung nachgekommen, das sind knapp zwei Prozent aller ÖVP-Mitglieder. Bei einer Urabstimmung der ÖVP im Jahr 1980 hatten noch 57 Prozent teilgenommen.

Gegen Pflegeversicherung

Die Befragten haben 38 der 39 Fragen mit meist hoher Zustimmung befürwortet. Nur die Idee einer Pflegeversicherung für alle Erwerbstätigen wurde mit 50 Prozent abgelehnt.

Gerade noch angenommen wurde die Forderung nach einem Reißverschlusssystem für Frauen bei der Listenerstellung. Mit 57 Prozent hat diese Frage am zweit wenigsten Zustimmung bekommen. Trotzdem freut sich die Chefin des ÖVP-Frauenbundes, Doris Schittenhelm. "Über das Ergebnis bin ich sehr froh, das zeigt, die ÖVP bewegt sich", sagt sie auf Anfrage von derStandard.at. Die ÖVP sei in einer Phase des Aufbruchs. "Gerade die positive Beantwortung diese Frage beweist das und das ist für mich schon ein Erfolg, wobei wir natürlich wissen, dass wir erst am Anfang stehen."

Überraschend war für Blümel die hohe Zustimmung zu einer Stärkung des Persönlichkeitswahlrechts. 87 Prozent sprachen sich dafür aus, dass jener Kandidat, der die meisten Vorzugsstimmen erhält, das Mandat bekommen soll. Derzeit rücken Kandidaten der Bundesparteiliste bei der Nationalratswahl nur dann vor, wenn ihnen zumindest sieben Prozent der Wähler der Partei eine Vorzugsstimme geben.

"Großes Diskussionspotenzial" sieht Blümel bei der Forderung nach einem Mehrheitswahlrecht. Diese Debatte sei während des Prozesses entstanden, weil viele kritisiert hätten, dass es derzeit keine klaren Entscheidungen gebe. Immerhin haben sich 60 Prozent der Befragten für eine Abschaffung des bestehenden Verhältniswahlrechts und für die Einführung eines Mehrheitswahlrechts ausgesprochen.

Keine Frage zur Gesamtschule

Eine hohe Zustimmung von 76 Prozent gab es zudem für die Einführung von Selbstbehalten bei gleichzeitiger Senkung der Sozialversicherungsbeiträge. "An diesem Beispiel sieht man, auch hier geht es um das Prinzip der Eigenverantwortung", sagt Blümel.

Nicht befragt wurden die ÖVP-Mitglieder über die Einführung der gemeinsamen Schule der Zehn- bis 14-Jährigen, wie sie unter anderem der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter fordert. Es wurde lediglich gefragt, ob sich die ÖVP "auch in Zukunft für ein differenziertes Schulsystem starkmachen" solle, "in dem die Talente und Potenziale jedes Einzelnen bestmöglich gefördert werden". Wenig überraschend stimmten hier 85 Prozent zu. "Die Leute sind so angefressen über diese Türschilddiskussion, dass darüber niemand mehr sprechen will", sagt Blümel. Diese Diskussion helfe niemandem.

In Tirol sieht man das anders: "An oberster Stelle muss das gemeinsame Ziel stehen, das beste Schulsystem für unsere Kinder zu gestalten. Wichtig ist jedoch, dass die verschiedenen Modelle auch offen diskutiert werden", sagt Platter auf Anfrage des Standard.

Aus den Abstimmungsergebnissen sollen bis zum ÖVP-Parteitag am 12. und 13. Mai konkrete Modelle erarbeitet werden. Die Delegierten werden über die Anträge abstimmen, die anschließend zum neuen ÖVP-Parteiprogramm führen.

Rote sehen nur "Suggestivfragen"

Für SPÖ-Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos hat die ÖVP lediglich "Suggestivfragen" gestellt, die das mangelnde Interesse der VP-Spitze an einer Neuorientierung zeigen würden. Der Reformprozess habe Stagnation und keine Öffnung der Partei gebracht. Die SPÖ selbst startet Ende Februar und im März Ideenforen, um die ebenfalls gerade laufende Programmreform voranzutreiben. Im April werde zudem eine Online-Diskussion starten. 2016 soll es laut Darabos die Möglichkeit für alle SPÖ-Mitglieder geben, über den neuen Programmtext abzustimmen. (koli, mika, red, derStandard.at, 5.2.2015)