Natürlich trägt er Sonnenbrillen auch bei Regenwetter. Nick Cave fährt am 20.000. Tag seines Lebens mit dem Auto spazieren. Dabei begleiten ihn alte Freunde und die Kamera von Iain Forsyth und Jane Pollard.

Foto: Stadtkino

Wien - Nick Cave liegt im Bett und starrt auf den Wecker. Als der um sieben Uhr endlich läutet, steht er auf und geht ins Bad. Während er sich im Spiegel betrachtet, spricht er aus dem Off über das Leben und seine Selbstsicht als Kannibale. Wie so ein Tag im Leben eines Alternative-Rockstars eben beginnt. Es ist der 20.000. Tag seines Lebens auf Erden, Nick Cave ist an diesem 54 Jahre alt.

20,000 Days on Earth ist der Titel eines Dokumentarfilms über einen fiktiven Tag im Leben des australischen Musikers, Autors und Schauspielers. Der Film arbeitet Mensch und Mythos gleichermaßen zu, und vom ersten Moment an ist klar, dass Cave das Projekt mit Enthusiasmus unterstützt. Gedreht haben ihn Jane Pollard und Iain Forsyth, ab heute ist er im Wiener Stadtkino zu sehen. Was wie ein Homemovie beginnt, wächst über eineinhalb Stunden zu einem intimen Por- trät abseits handelsüblicher Musik(er)dokumentationen.

Jane Pollard im Gespräch mit dem Standard: "Nick lud uns ins Studio ein, als er mit Warren Ellis Demos für das Album Push the Sky Away einspielte. Das hatte er zuvor nie zugelassen. Wir fingen eine Seite von ihm ein, die uns allen unbekannt war. Da wussten wir, wir wollen mehr davon, einen ganzen Film. Uns war klar, dass wir kein Making-of produzieren wollten, das eine halbe Stunde dauert, auf Youtube ein paar Mal angeklickt und wieder vergessen wird. Es sollte ein Film sein, der für sich allein stehen kann."

Cave lebt mit Familie in der verregneten britischen Küstenstadt Brighton. Nachdem er am Vormittag auf einer alten Schreibmaschine geschrieben hat, muss er weg, zum Therapeuten. Die Wege, die er zu erledigen hat, fährt er mit dem Auto. In das haben Pollard und Forsyth Freunde Caves platziert, die mit ihm über Popularität oder seine Liveauftritte sprechen. Typen wie den Schauspieler Ray Winstone, Caves langjährigen Gitarristen Blixa Bargeld oder Popstar Kylie Minogue, mit dem Cave in den 1990ern einen Hit hatte. Es sind kurzweilige, aber geistvolle Dialoge.

Pollard: "Am spannendsten war für uns das Zusammentreffen mit Blixa. Wir wussten, die beiden stehen sich immer noch nahe, aber sie hatten nie die Gelegenheit gefunden, über Blixas Weggang von der Band zu sprechen. Dann kamen wir und haben sie für 30 Minuten in ein Auto gesperrt, und ohne dass wir es vorgegeben hätten, ging plötzlich das Gespräch in diese Richtung. Am Ende wirkten beide dankbar für diese Möglichkeit."

Die Autofahrten fungieren als Brücken zu neuen Schauplätzen. An denen erlebt man Cave, ohne Skript, über sich und sein Leben philosophieren. Er spricht beim Therapeuten über seine Kindheit, das Vergessenwerden, seinen Vater und erste musikalische Gehversuche. Er fährt zu Warren Ellis zum Essen und memoriert mit ihm gemeinsame Erlebnisse mit Nina Simone oder Jerry Lee Lewis. Später, im Studio, muss Cave sich von Ellis sagen lassen, das sein Song ihn an All Night Long von Lionel Richie erinnert.

Texte per Smartphone

Eine andere Fahrt führt in Caves Archiv. Dort werden Andenken seiner Karriere gesammelt und aufbewahrt. Er erzählt den Archivaren von wilden Zeiten mit der Band Birthday Party und kommentiert die Frisuren früherer Mitstreiter wie Mick Harvey.

Die Musik selbst spielt nur eine Nebenrolle, bedeutender sind für Pollard und Forsyth die Gedanken Caves. Diese hat er bereitwillig zur Verfügung gestellt. Selbst als er auf Tour war, belieferte er die beiden beständig mit Texten übers Smartphone, andere sind seinen Notizbüchern entnommen.

Es sind kleine Weisheiten, die diese außergewöhnliche Person im Laufe der Jahre und über viele Irrwege für sich zusammengetragen hat. Am Ende steht er am Strand von Brighton. Kurz zuvor hat er mit seine Söhnen Pizza aus dem Karton gegessen und seiner Frau Susie Bick eine so rührende wie übertriebene Liebeserklärung gemacht. Es ist ein Moment der Ruhe und Zufriedenheit im Leben eines Rastlosen. (Karl Fluch, DER STANDARD, 6.2.2015)