Ideologien sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Früher einmal hat man sich mit dem Begriff an Handfestes gehalten wie etwa Marxismus oder Faschismus oder Kapitalismus. Die emeritierten ÖVP-Politiker Heinrich Neisser und Josef Riegler haben nun nach Voves und Niessl aus der Tiefe ihrer politischen Ehemaligkeit und ohne einen Grund für ihr überraschendes Auferstehen aus derselben zu nennen, eine Kopftuchideologie dingfest gemacht. Materielles Substrat dieser Ideologie ist ein Stück Stoff, von dem, auf bestimmten, nur weiblichen Köpfen getragen, der Glaube an die natürliche Ungleichheit von Mann und Frau ausgehen soll.

Diese Ideologie sei aber reaktionär, befinden die beiden Herren, weshalb sie fordern, mit einem Verbot des Kopftuches auch gleich besagte Ungleichheit der Geschlechter mit Stumpf und Stiel auszurotten, mit der interessanten Begründung, derlei sei mit dem Wertekanon Europas nicht vereinbar. Bis vor nicht allzu langer Zeit war noch die Ungleichheit von Mann und Frau ein fester Bestandteil dieses Kanons, ohne dass es außer Feministinnen jemanden gestört hätte, und wie schwer vielen Landsleuten, deren Häupter nie Kopftücher geziert haben, die Umstellung fällt, war zuletzt in der Debatte um die Änderung der Bundeshymne in Spuren zu erkennen.

Es ist natürlich edel, an dieser Ideologie zu rütteln, und wenn das Kopftuch der späte Anlass dazu sein sollte - warum nicht? Aber es ist der falsche. Gelegenheiten, dies früher zu tun, hätte es viele gegeben, etwa indem man die übernatürliche Ungleichheit von Mann und Frau in der katholischen Kirche als Rechtfertigung für die angeblich natürliche in der Gesellschaft thematisiert hätte, was einer christlichen Volkspartei nicht leichtgefallen, aber seit langem wohl angestanden wäre. Dort aber darf sie unangetastet andauern, ja beruhigend, dass es auch unter dem jetzigen Papst keine Anzeichen für Priesterinnen gibt, Europas Wertekanon hin oder her.

Frauen, die Kopftuch tragen, ohne Bäuerinnen oder Klosterschwestern zu sein, müssen kommen, um den feministischen Tiger im heimischen Populisten zu wecken. Für diesen Integrationszweck sollen Verbote her, mögen Betroffene, Pädagogen und Integrationsexperten auch nichts davon halten, schließlich stehen auch Wahlen an. Zu viele Österreicherinnen und Österreicher verbinden mit dem Begriff Integration vor allem die Chance, sich vor Migranten in nationale Einfalt zu retten, statt bessere Chancen für jene zu schaffen, die mit Zuwanderung nicht nur zu kultureller Vielfalt beitragen, sondern - auch ökonomisch bedeutsam - der Überalterung unserer Gesellschaft entgegenwirken.

Die Kopftuchideologen, egal in welcher Partei, kommen jenen Politikern entgegen, die mit Fremdenfeindlichkeit ihr Geschäft betreiben. Ginge es ihnen ernsthaft um die Beseitigung aller noch bestehenden Ungleichheiten zwischen Mann und Frau, fänden sie in Österreich ein weites Betätigungsfeld, ohne ein Stück Stoff mit Verbot belegen zu müssen. Geht es ihnen darüber hinaus auch um eine Trennung von Religion und Staat, dann aber bitte einmal ernsthaft. Bisher hat man davon nichts gesehen. (Günter Traxler, DER STANDARD, 6.2.2015)