Mit Wes Andersons vergnüglichem The Grand Budapest Hotel bewies die Berlinale im vergangenen Jahr, dass es auch Eröffnungsfilme von längerer Strahlkraft gibt. Die mit so zahlreichen Schaustücken durchsetzte Arbeit geht Ende Februar sogar als einer der Favoriten ins Oscar-Rennen. Ein Jahr später, und die Sache sieht wieder ganz anders aus: Denn Isabel Coixets Nobody Wants the Night ist jene Sorte von hohler Arthouse-Kinokost, in der trotz zugkräftiger Schauspielspitze (Juliette Binoche) eigentlich rein gar nichts stimmt. Nicht ein einziges Paar Hände wollten nach der Pressevorführung des Openers von 2015 zusammenfinden.

Die französische Aktrice verkörpert Josephine Peary, Frau des Arktisforschers Robert Peary, die sich 1908 mit hochgestecktem Haar an die Fersen ihres Mannes heften will. "Park Avenue, was sagst du dazu!", ruft die bourgeoise Dame von Welt, als sie eigenmächtig ihren ersten Eisbären erschießt. Wenig später ist sie schon mit Hundeschlitten, einem bärbeißigen Lotsen namens Bram (Gabriel Byrne mit eindrucksvollen Augenbrauen) und ein paar Eskimos ins ewige Eis unterwegs.

Ein Abenteuerfilm, der sich in Cinemascope an der unwirklichen Landschaft erfreut, es dabei mit der dramatischen musikalischen Untermalung etwas übertreibt, denkt man anfangs noch. Lawinen gehen ab und versperren der Expedition Weg. Bei der Überquerung eines gefrorenen Flusses bricht Bram ein und kommt dann nie mehr richtig auf die Beine.

Die Spanierin Coixet steuert mit dieser britischen Produktion jedoch einem anderen Ufer als jenem des Genrefilms zu. Je weiter der Film nämlich in die Natur vorrückt, desto mehr vergisst er auf sie; und desto mehr ruht sein Blick auf der starrköpfigen Heldin, die angesichts einer Situation, in der alle ihre zivilisatorischen Werte auf dem Prüfstand stehen, mehr und mehr in die Krise gerät.

Erstarrt im Eis

Binoche vermag dieses Dilemma allerdings kaum greifbar zu machen. Die Figur sitzt ihr wie ein schlecht geschnittenes Kleid. Ihre zickigen Ausfälle wirken aufgesetzt, die körperliche Anstrengung und äußerliche Verrohung übertragen sich nicht. Auch die Idee, das Filmdrama nach Josephines Begegnung mit der jungen Inuk-Frau Alaka (Rinko Kikuchi) auf ein Zweipersonenstück einzuschränken, erweist sich als wenig erhellend. Alaka entspricht zu ungebrochen dem Klischee der naiven Wilden, die sich freundlich-lächelnd der Fremden anvertraut.

Unter immer harscheren Witterungsbedingungen kommen sich die gegensätzlichen Frauen immer näher. Coixet will darauf hinaus, dass sich weibliche Empathie als das tauglichere Mittel als rücksichtslose männliche Entdeckungslust erweist. Dagegen gäbe es wenig zu sagen, hätte sie dafür auch Bilder gefunden, die sich etwas mehr nach gelebter Erfahrung als nach papierdünnem Iglu- und Hüttendrama anfühlen. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 6.2.2015)