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Der neue griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras. Seine Regierung soll die Chance haben, es besser zu machen.

Foto: Reuters/KOSTAS TSIRONIS

Ja, Griechenland hat sich mit falschen Statistiken den Euro erschwindelt und die notwendigen Strukturreformen nicht gesetzt. Und ja, Athen wurde jahrzehntelang von einer politischen Klasse gelenkt, die als Trittbrettfahrer Zins- und Währungsvorteile sowie EU-Fördermittel ohne Gegenleistung lukrierte. Die gemeinsame Währung ist aber eine Strukturpeitsche, die entsprechendes Fehlverhalten letztlich sanktioniert. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat diese Situation noch zusätzlich verschärft. Das hohe Maß an Ungleichheit in der griechischen Gesellschaft, geprägt von Wirtschaftsoligarchen und korrupter Politik, manifestierte sich gerade in dieser Situation in fehlender Solidarität.

Es waren vielmehr die Euromitglieder, die eine solche – finanzielle – Solidarität zeigten. Zwar haben einige Euroländer damit auch ihre eigenen Geschäfte abgesichert und ihre Banken abgeschirmt. Dennoch wurde durch gemeinsame Hilfspakete die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands verhindert.

Es ist nachvollziehbar, dass Euroländer und Institutionen für Kredite und Haftungen Bedingungen festsetzten und – in Absprache mit der griechischen Regierung – Reformziele definierten. Dass die "Troika" hierzu nicht ausreichend legitimiert und die entsprechenden Auflagen zu wenig sozial ausbalanciert waren, steht jedoch ebenso außer Frage.

Soziale Verantwortung der EU

Trotz allem: Griechenland befindet sich heute in einer tiefen sozialen Krise, die die große Mehrheit der Bevölkerung trifft. Jeder Dritte lebt unter der Armutsgrenze, jeder zweite Jugendliche hat keine Arbeit, die öffentliche Gesundheitsversorgung bricht zusammen. Europapolitik muss letztlich mehr können, als Budgetziele vorzugeben. Die EU hätte sich schon früher ihrer sozialen Verantwortung besinnen sollen, als abzusehen war, dass die Reformprogramme mit enorm hohen sozialen Kosten verbunden waren und Athen nicht willens war, seine Klientelpolitik nach altem Muster aufzubrechen.

Deeskalation und Dialog

Der Wahlerfolg Syrizas ist auch das Resultat dieser Krisenpolitik und der daraus folgenden gesellschaftlichen Veränderungen. Die Reformauflagen führten – neben wirtschaftlichen und sozialen Tragödien – zu Frust, Hoffnungslosigkeit und dem Gefühl der Unterdrückung und spielen damit letztlich Populisten in ganz Europa in die Hände. Deeskalation und vor allem Dialog sind daher angesagt. Wobei Vereinbarungen einzuhalten und Schulden abzuzahlen sind. Doch eben dazu sind Investitionsprogramme und Wirtschaftswachstum nötig. Griechenland braucht Strukturreformen mit fairer Lastenteilung. Kreditlaufzeiten sind dehnbar, Zinsmoratorien gang und gäbe, das sollte auch hierzulande – siehe Völkerbundanleihen Österreichs – bekannt sein.

Griechischen Patienten stabilisieren

Die Regierung Tsipras' soll ihre Chance haben, es besser zu machen. Sie muss dabei heiße Eisen wie Steuerflucht und -vermeidung, Bürokratie, Militärausgaben und Vetternwirtschaft anfassen und Wachstumspotenziale etwa mit der Türkei suchen. Griechenland wird dann wieder atmen können, wenn Reformen nachhaltig und sozial verträglich umgesetzt werden. Eine Stabilisierung des griechischen Patienten – und um nichts anderes geht es – ist im Interesse Europas. Die EU sollte Hellas auf diesem Weg unterstützen. (Paul Schmidt, derStandard.at, 6.2.2015)