Iris Hanika träumt davon, leichte Unterhaltungsromane zu schreiben.

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Iris Hanika stellt "Wie der Müll geordnet wird" am 9. Februar im Grazer Literaturhaus vor (20 Uhr) und am 10. Februar in Wien (Hauptbücherei am Gürtel, 19 Uhr).

cover: droschl verlag

Sie liebe die Kälte, sagt Iris Hanika. "Weil sie so belebend ist." Die 52-Jährige steigt vom Fahrrad. Auf dem ist sie vom Berliner Bezirk Kreuzberg nach Friedrichshain gefahren. Für das Gespräch hat die Schriftstellerin, die ihre Bücher beim Grazer Droschl-Verlag veröffentlicht, ein französisches Café gewählt. Auf Französisch bestellt Hanika, die seit 1979 in Berlin lebt, einen Cappuccino. Auf dem Tisch liegt ihr neuer Roman Wie der Müll geordnet wird.

STANDARD: Soweit ich mich erinnere, haben Sie nach Ihrem Roman "Das Eigentliche" gesagt, dass Sie eigentlich nichts mehr zu sagen hätten. Bereits 2012 folgte "Tanzen auf Beton". Nun ist mit "Wie der Müll geordnet wird" ein neuer Roman erschienen. Der hat – was auch ungewöhnlich ist – gleich 300 Seiten. Ein Sinneswandel?

Hanika: Kein Sinneswandel, vielmehr habe ich mir, als ich dach- te, ich hätte nun wirklich alles gesagt, vorgenommen, etwas Sinnloses zu schreiben. Daraus ist dieses Buch entstanden. Es ist dann aber doch nicht sinnlos geworden, vielmehr geht es um jemanden, der nur noch sinnlose Dinge tun will. Dann wollte ich über jemanden schreiben, der gerne verschwinden will, das ist die zweite Hälfte des ersten Teils, schließlich habe ich den unvollendeten Roman von vor zwanzig Jahren eingefügt, und plötzlich war ein dickes Buch fertig. 300 Seiten sind ein bisschen viel, das stimmt. Soll nicht wieder vorkommen! Ich bin sehr fürs dünne Buch.

STANDARD: In Gesprächen haben Sie häufig bekundet, irgendwann einmal einen leichten Unterhaltungsroman schreiben zu wollen. Nun ist es doch wieder richtige Literatur geworden. Kann es sein, dass es nicht so leicht ist, einen leichten Unterhaltungsroman zu schreiben?

Hanika: Das sagt jeder Autor gerne. Man sagt es, weil man sich einbildet, leichte Unterhaltungsromane seien auch leicht zu schreiben, aber, wie Sie richtig vermuten: So leicht ist das gar nicht, zumindest für mich nicht. Obwohl – Treffen sich zwei ist doch ein leichter Unterhaltungsroman! Und trotzdem "richtige Literatur".

STANDARD: "Das Eigentliche" erzählt von Leuten, für die die Nazi-Verbrechen zum wesentlichen Lebensbestandteil geworden sind. Das ist tatsächlich schwerer Stoff.

Hanika: Ja. Deshalb hatte ich nach den Lesungen aus Das Eigentliche ja Sehnsucht nach einem leichten Unterhaltungsroman. Die waren nämlich sehr anstrengend, weil es da auch beim Publikum immer ans Eigentliche ging und wir dann gemeinsam schwer geschuftet haben im Weinberg des Gedenkens. Da dachte ich, ich sollte etwas Lustiges schreiben, in dem weder Nazis noch Depressionen vorkommen, dann wären die Lesungen auch lustig. Wenn ich jetzt aber noch einmal "obwohl" sagen darf: Der erste Teil von Wie der Müll geordnet wird ist zwar etwas mühsam, aber der zweite Teil ist durchaus leicht zu lesen. Meine Großmutter fand ihn so spannend wie einen Krimi, und sie ist eine sehr erfahrene Leserin!

STANDARD: Der erste Teil des Buches mag vielleicht etwas mühsam sein, wie Sie sagen, aber er entschädigt mit einem virtuosen Witz und der Lust am Spiel mit Sprache und Form. So wollen Sie scheinbar das Durcheinander der Gegenwart und die Sinnlosigkeit des Lebens, die der Protagonist Antonius verspürt, versinnbildlichen. Weil Sie dies aber so konsequent tun, so konsequent, wie Antonius seiner ei genen Sinnlosigkeit nachgeht – ergibt sich daraus nicht wiederum ein Sinn? Nämlich der, dass das Leben eigentlich nur als künstlerische Interpretation erträglich ist?

Hanika: Welcher Sinn sich daraus ergibt, ist allein den Lesern überlassen! Der einzige Sinn, den ich daraus gezogen habe, ist der, dass es nicht möglich ist, etwas Sinnloses zu schreiben. Die Einzigen, die das geschafft haben, waren die Dadaisten, aber denen wollte ich nicht nacheifern. Deren Arbeit gehört zu einem bestimmten historischen Moment, der vergangen ist, wir leben in einer anderen Zeit. Erträglich ist das Leben am besten, wenn man nicht darüber nachdenkt, ob es erträglich ist oder nicht.

STANDARD: Unter anderem verweisen Sie auf eine Reihe berühmter russischer Autoren wie Daniil Charms oder Nikolai Tschernyschewski. Der eine steht für den literarischen Surrealismus und Dadaismus, der andere ist Autor der revolutionären Schrift "Was tun?". Zwei Extreme also, wenn es darum geht, Sinn zu definieren. Bemühen Sie speziell russische Autoren, weil die russische Seele – wenn man so will – dafür bekannt ist, dass sie gern zwischen einem ausgeprägten Anarchismus und einer tiefen Sinnsuche mäandert?

Hanika: So viele Gedanken habe ich mir darüber gar nicht gemacht. Dass russische Schriftsteller vorkommen, liegt eher daran, dass ich in den letzten Jahren so gut wie ausschließlich russische Literatur gelesen habe. Allerdings nicht Was tun? von Tschernyschewski. Diese Lektüre habe ich schon vor vielen Jahren abgebrochen, das Buch ist einfach unerträglich schlecht. Charms übrigens würde ich keinesfalls als Dadaisten bezeichnen! Wenn man seine Lebensumstände kennt, erscheinen einem seine Texte irgendwann als vollkommen realistisch. Es könnte allerdings sein, dass ich wegen der russischen Literatur überhaupt auf mein Thema gekommen bin, aber das wäre dann ganz unbewusst geschehen.

STANDARD: Sie nennen den ersten Teil die kapitalistische Gegenwart. Die auftretenden Personen verwenden sehr viel Zeit darauf, in Dingen Sinn zu suchen. Macht das unsere Gegenwart aus? Wird Iris Hanika etwa zur Kapitalismuskritikerin?

Hanika: Verwenden die Personen Zeit darauf, in Dingen Sinn zu suchen? Ich hatte nicht den Eindruck. Wenn man pessimistisch auf unsere Gegenwart blickt, würde man sicher sagen, dass die Leute sich zu sehr mit Dingen be schäftigen. Allerdings nehme ich an, dass diese Klage uralt ist und einen Bart von islamfaschistischen Ausmaßen hat. Den Kapitalismus an sich zu kritisieren ist mir zu kompliziert, auch fehlt mir dazu die entsprechende Bildung. Und kritisieren wir ihn nicht alle in einem fort, während wir uns an seinen Segnungen erfreuen? Na, wie auch immer. Ich betrachte mich in erster Linie als Chronistin, und weil ich in einer kapitalistisch organisierten Gesellschaft lebe, könnte man sagen, mein Verhältnis zum Kapitalismus ist das der teilnehmenden Beobachtung.

STANDARD: Der zweite Teil des Buches behandelt die Vergangenheit. Er spielt in Berlin nach dem Mauerfall. Auch die dort auftretenden Personen sind damit beschäftigt, das Leben zu bewältigen, es zu ordnen, ihm Sinn zu geben. Aber das Ganze ist eher klar und klassisch erzählt. Ist die Vergangenheit bzw. die Rückschau also der bessere Berater, wenn es darum geht, dem Leben Sinn zu geben?

Hanika: Die Vergangenheit ergibt einen Sinn einfach dadurch, dass sie vergangen ist. Man kann sie nur noch betrachten, mehr nicht. Darum kommt sie einem dann auch so ordentlich vor. Man versteht, warum dies geschah und warum jenes, denn dieses war die Folge von jenem und so weiter. Außerdem vergisst man, was alles nicht geschah, wo es doch hätte geschehen können oder sollen. Aber die Vergangenheit ist nicht zu ändern, absolut überhaupt gar nicht, darum ist sie für so manchen die allerschönste Zeit, denn man kann mit ihr machen, was man will, man kann sie glorifizieren, bejammern oder versuchen, sie zu unterschlagen.

STANDARD: Man kann sie sich aber auch zurechtschwindeln ...

Hanika: Genau. Historiker wissen doch nur zu gut, wie schön man über die Vergangenheit lügen kann, dass die Lügen aber irgendwann aufgedeckt werden, weswegen man die Vergangenheit dann neu interpretieren muss. Will sagen: Man kann sich endlos mit ihr beschäftigen. Das ist natürlich angenehm, weil es einen der Gegenwart enthebt. Ansonsten, was nun wieder mein Buch angeht: Die Vergangenheit kommt darin vor, weil es, wie gesagt, einen Text aus meiner Vergangenheit gab, der sich dafür eignete, die Vergangenheit meiner Hauptfigur zu sein. Dieser Teil ist so ordentlich wie die Vergangenheit, ansonsten aber nur eine Anmerkung zum Durchein ander der Gegenwart.

STANDARD: Es gibt noch einen dritten Teil, der in die Zukunft schaut. Aber wir wollen an dieser Stelle nicht zu viel verraten. Was an Ihren Büchern auffällt: Sie sind eher handlungsarm, sie beschreiben Zustände wie eben den der Unordnung oder den des Unglücklichseins. Haben Sie eine Abneigung gegen Geschichten und Handlungen?

Hanika: Im Prinzip nicht. Ich bin nur übergenau, und darum gerät die Beschreibung dessen, was irgendwelche Handlungen oder Geschehnisse in einer Figur auslösen, dann leicht so ausführlich, dass die Handlung selbst in den Hintergrund tritt und der daraus resultierende Zustand eben in den Vordergrund. Aber wenn ich nun einen Moment darüber nachdenke – Bücher, die nur aus Handlung bestehen, lese ich eigentlich nicht gerne, Krimis also gar nicht. Nein, stimmt nicht, Simenon, Chandler, Hammett, Ross Macdonald, Patricia Highsmith habe ich alle gerne gelesen, auch Léo Malet, aber ...

STANDARD: Aber? Das klingt nach einer ganzen Menge Krimis!

Hanika: Es kommt halt darauf an, wie etwas geschrieben ist. Bücher, von denen mir erzählt wird, die Geschichte sei toll, die Sprache aber nicht, kann ich nicht lesen. Umgekehrt – tolle Sprache, keine Geschichte – habe ich keine Pro bleme. Ich erinnere an Flaubert, der gerne ein Buch geschrieben hätte, das aus nichts als Sätzen besteht, der dafür also gerne – so verstehe ich ihn – ganz auf Handlung verzichtet hätte. (Ingo Petz, Album, DER STANDARD, 7./8.2.2015)