Dass das griechische Wahlergebnis der "Presse" in die müden Knochen fahren würde, war keine Überraschung. Wo kommen wir auch hin, wenn in einem Mitgliedsland der Europäischen Union das Volk es wagt, die konservativen Komplicen der Bankenretter abzuwählen! Schon eine knappe Woche nach dem Wahltag hatte das Blatt seine Analyse beisammen: Europas links-rechter Gleichschritt. Enthüllt ward, was sich einem "Presse" -Redakteur halt so im Schlaf enthüllt. Extremisten. Sie mobilisieren auf der Straße gegeneinander, aber inhaltlich verfolgen ganz Linke und ganz Rechte - vom Antiamerikanismus über die Russland-Freundlichkeit bis zur Systemkritik - denselben Kurs.

Also antiamerikanisch, etwa wenn es um das Handelsabkommen geht, und russlandfreundlich ist die "Kronen Zeitung" auch, aber den Vorwurf des Extremismus würde sie wohl zurückweisen. Und grundsätzliche Systemkritik an dem von Banken geprägten Kapitalismus, wie sie von dem Blatt und an anonyme Geldgeber ausgelagerten Denk-fabriken verabscheut wird, üben heute auch Leute, die sich weder als links- noch als rechtsextrem definieren würden. Aber für viele Wähler, die sich aus Enttäuschung von Mitte-Parteien verabschieden, ist es einerlei, woher die Systemkritik kommt. Na eben nicht, sonst würden sie sich ja nicht entweder für links oder für rechts entscheiden, und es wären in Griechenland heute die Faschisten von der "Goldenen Morgenröte" an der Regierung. Hauptsache, es wird über einen Kamm geschoren. Parteien vom linken und rechten Rand haben in einigen EU-Ländern eine relevante Größe erreicht, die sie zu potenziellen Regierungsparteien macht. Nur woran das liegt, dürfen "Presse"-Leserinnen und Leser nie erfahren.

Vielleicht unzufrieden mit den einschlägigen Leistungen der Redaktion holte Donnerstag Kolumnist Professor Rudolf Taschner zu einem Nachschlag aus, als dessen Anlass er sich Gerfried Sperls Kolumne im Standard erwählte. Dieser habe von der links-linken Syriza geschrieben und Alexis Tsipras einen Volkstribunen genannt. Dabei hätte er allerdings unterschlagen, dass sich Tsipras flugs mit der sich am rechten Rand wähnenden Partei der "Unabhängigen Griechen" einigte - was, da allen Standard-Lesern bekannt, keiner Unterschlagung bedurfte -, und dass ihn Tsipras so gar nicht an die Gracchen im alten Rom erinnerte, was man als bedauerlichen Mangel empfinden mag, aber kaum die Bezeichnung eines hellenischen "Halbstarken ohne Manieren" erklärt.

Zum anderen betet wie viele andere hiesige Meinungsbildner Herr Sperl die Schablone des Links-rechts-Denkens wie ein Mantra an, fährt der malkontente Mathematiker fort. Ein Mantra wird zwar nicht angebetet, sondern ist selber ein religiöser Spruch, macht aber nichts, denn nun lässt Taschner die Teufel raus. Tsipras und sein Partner sind beide knallharte Etatisten, und Übleres lässt sich kaum denken: Zulasten der Eigenverantwortung, zulasten der Freiheit des Einzelnen suchen sie das Heil in einem alles regulierenden, einem alles beherrschenden, einem allein von ihrer Hand gezähmten und gelenkten Staat.

Zwar wurde der griechische Staat auch bisher gelenkt, aber eben nicht etatistisch. Der Etatist hingegen erhebt den Staat zum Moloch, während die Politiker innerhalb und außerhalb der Landesgrenzen, die Griechenland in Milliardenschulden und die Bevölkerung in Armut geraten ließen, offenbar noch Volkstribunen von römischem Schrot und Korn waren. Aber wenn der Moloch droht, hört sich der ganze Spaß an der Demokratie auf. Es könnte in Europa die Stunde der Demagogen anbrechen. Die - so hat es Griechenland jedenfalls vorgeführt - in "lupenreinen" demokratischen Wahlen zur Macht gelangen.

Die bitterste Einsicht, zu der Gerfried Sperl in seiner Kolumne nicht durchgedrungen ist, erschließt sich Taschner mühelos - die Griechen haben einfach nicht so gewählt, wie er es ihnen als Volkstribun "lupenrein" empfohlen hätte. Wie das Schema von rechts und links ist auch Demokratie ein Fetisch. Mit Demokratie allein ist nichts zu gewinnen, wenn den Wählern der nötige Sachverstand darüber fehlt, worüber sie abzustimmen haben - und sie zugunsten irrationaler Hoffnungen ihre Verantwortung über Bord werfen.

Das hätte der Professor den Griechen ein paar Wahlen früher sagen müssen. Dann sähe es in Hellas heute anders aus. (Günter Traxler, DER STANDARD, 7./8.2.2015)