Yiannis Varoufakis, der neue griechische Finanzminister und Popstar der kapitalismuskritischen Linken, sagt es: "Deutschland muss in Europa ein guter Hegemon sein, großzügig und mit Weitsicht, aber kein Tyrann."

George Soros, der Finanzkapitalist par excellence und Mäzen der Demokratiebewegungen in Osteuropa, sagt es ganz ähnlich: Angela Merkel fülle "Deutschlands Rolle als wohlwollender Hegemon in Europa geschickt aus".

"Hegemon" ist ein Begriff aus dem antiken Griechenland: ein dominanter Staat innerhalb einer Staatengruppe. Athen war Hegemon im "attischen Seebund" (ging nicht gut aus). Deutschland als Hegemon Europas - das wäre vor zehn Jahren unvorstellbar gewesen, auch im deutschen Selbstverständnis. Deutschland hat aber längst seine demokratische Stabilität bewiesen und ist gleichzeitig aufgrund eben dieser Stabilität und seiner starken Wirtschaft in eine Führungsrolle hineingewachsen. Wohlwollend, im Interesse auch der anderen.

In diesen Tagen zeigt sich das doppelt: Der deutsche Finanzminister weigert sich, der neuen griechischen Linksregierung einen erneuten Blankoscheck zu geben, ohne dass diese ihre angekündigten Reformen irgendwie überprüfbar gestaltet. Das ist auch im Interesse der anderen, die Reformen gemacht haben. Angela Merkel wiederum unternimmt gemeinsam mit François Hollande den vorläufig letzten Versuch, Wladimir Putin zu einer Rückkehr zur europäischen Friedensordnung zu bewegen.

Beides steht unter enormem Zeitdruck. Ein bisher zu wenig reportiertes Faktum: Die griechischen Sparer bedrohen das Syriza-Experiment mehr als alle anderen. Seit der Wahl zieht die Mittelschicht in rasender Geschwindigkeit ihr Geld von den Banken ab.

Die EZB wird einen Bankenzusammenbruch in Griechenland nicht zulassen, Deutschland nicht einen Austritt Griechenlands aus dem Euro, wenn es irgendwie geht. Das große Kunststück wird sein, die links-/rechtspopulistische Regierung in Athen zu verantwortlichem Handeln zu bringen. Nur so wird auch der leidenden griechischen Bevölkerung nachhaltig geholfen werden.

Viel schwieriger ist es, Putin zu verantwortlichem Handeln zu bringen und seine Eskalation in der Ostukraine zu stoppen. Deutschland will/muss da mit Frankreich, der restlichen EU und den USA agieren. Die Optionen sind überdies äußerst begrenzt.

Dennoch muss man froh sein, dass ein Deutschland, das weitgehend frei ist vom alten nationalistischen Furor, eine Führungsrolle in Europa übernimmt. Die EU funktioniert nur als Modell des permanenten Interessensausgleichs, aber sie bedarf eines Akteurs, der Entscheidungen herbeiführt. Deutschland kann überdies Teile seines Erfolgsmodells anbieten.

Wahrscheinlich ist sogar der Begriff "wohlwollender Hegemon" zu paternalistisch. Aber eines ist Faktum: Deutschland ist (wieder) der bedeutendste Staat Europas, es hat aber gleichzeitig als Lehre der Vergangenheit sein Schicksal untrennbar mit der europäischen Idee verknüpft. Daraus ergibt sich alles andere. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 7.2.2015)