Wien - Wer die Augen schließt, mag glauben, dass er oder sie unerträglichen Verhältnissen entkommen kann. Doch der Preis dafür ist die Fortsetzung des Inakzeptablen. Klaus Michael Bogdal, der in seinem Buch "Europa erfindet die Zigeuner" nach Erklärungen für die Missachtung der Roma in Europa sucht und dafür unter anderem die Konstruktion der "Fremdbezeichung Zigeuner" verantwortlich macht, schreibt: "Gespenster wie die Verachtung der Zigeuner lassen sich vertreiben, wenn man sie aus der Nacht des Hasses und der Feindlichkeit gegenüber dem Fremden und Anderen ans Licht zerrt."
Also gilt es, den undurchdachten Zuschreibungen und ihren existenzwidrigen Folgen offen ins Gesicht zu schauen. Sie zu erkennen und zu benennen, als das, was sie sind: der Skandal einer Wiederkehr des Falschen.
Ausstellungseröffnung am 12. Februar
"Was bleibt. Fragmente einer fortwährenden Vergangenheit" lautet der Titel einer Ausstellung, die kommenden Donnerstag, 12. Februar, im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) eröffnet wird: dort die erste Sonderschau über die Verfolgungsgeschichte der Roma im Nationalsozialismus, die darüber hinaus auch die Folgen dieser Verfolgung für die Nachkommen zum Thema macht.
Gestaltet wurde die Schau von der bildenden Künstlerin und Aktivistin Marika Schmiedt. Seit 15 Jahren sucht die heute 49-Jährige offenen Auges - und entsprechend verletzlich - in zeitgeschichtlichen Archiven nach Spuren der Geschichte ihrer Familie - der Roma-Familie Berger/Horvath/Schmiedt - vor, während und nach der NS-Zeit.
"Verhältnisse immer untragbarer"
Und sie wehrt sich mit künstlerischen Mitteln - und ziemlich wütend - gegen die Wiederkehr und aktuelle Zunahme von Roma-Verfolgung in weiten Teilen Europas. Etwa mittels ihrer bewusst provokanten Plakate. An diesen begann sie Anfang 2012 zu arbeiten, "weil die Verhältnisse immer untragbarer wurden und das niemand zu interessieren schien", erzählt sie im STANDARD-Gespräch. Zwar existierten - und existieren - Initiativen und Programme, etwa der Europäischen Union und des Europarats, gegen die Diskriminierung und Verarmung. Doch statt einer Besserung lebten immer mehr Roma im Elend.
Auch habe schon damals niemand "Abscheulichkeiten" wie Beerdigungsverbote für Roma auf Friedhöfen (damals in einer slowenischen Gemeinde) oder auf Roma abzielende Sitz- und Stehverbote in den tschechischen Orten Rotava und Litivinov 2011 verhindert: Stigmatisierungshandlungen, die umfassender Ablehnung entspringen - vielleicht, weil sie auf einem jahrhundertealten, ressentimentbestimmten Roma-Bild basieren, das im Unterschied zu jenem der Juden oder Homosexuellen niemals hinterfragt wurde.
Kosten der Persiflage
Wer dieses Bild in Frage stellt, riskiert einen Skandal, vor allem, wenn er oder sie die Mittel der Persiflage und der Satire einsetzt. Wie man nach den Islamisten-Morden an Mitarbeitern der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo weiß, kann das heutzutage sogar lebensgefährlich sein.
Als Marika Schmiedt ihre Plakate über die bedrohliche Situation der Roma in Ungarn auf einem Bauzaun in Linz ausstellte, wurde sie in Ungarn von Anhängern der rechtsextremen Jobbik-Partei und der rechtspopulistischen Fidesz-Regierung attackiert - DER STANDARD berichtete. Den vom Nationalismus getriebenen Angreifern - eine Frau riss Plakate vom Bauzaun - erschienen die Sujets antiungarisch und daher inakzeptabel.
"Roma-Salami, gekocht"
Etwa jenes einer Stange Salami, auf der, neben dem Jobbik-Emblem, ein Bild des Fidesz-Vorsitzenden und Premiers Viktor Orbán sowie die Aufschrift "Roma-Salami, gekocht" prangen. Um weitere Schmiedt-Plakatausstellungen zu verhindern, wurde sogar im Nachbarland Österreich interveniert - erfolglos.
Für Marika Schmiedt war das eine anstrengende Zeit. Auch, weil klar zum Ausdruck kam, dass sie mit ihrer Art, gegen Vorurteile anzukämpfen, mit wenigen Ausnahmen allein war. Rudolf Sarközi, Obmann des Kulturvereins österreichischer Roma, kritisierte damals ihre Schau: Provokation sei für die gefährdete Volksgruppe der falsche Weg.
Gegen "Antiziganismus"
Das treffe vielmehr für Sarközis auf Konsens abzielende Politik zu, sagt Schmiedt. Auch neuere Bemühungen, Roma-Diskriminierung als Antiziganismus (parallel zu Antisemitismus oder Rassismus) anzuprangern, lehnt sie ab: In diesem Begriff sei die stigmatisierende Bezeichnung Zigeuner enthalten, gibt sie Literaturwissenschafter Bogdal indirekt Recht. Sie vielmehr wolle "den Menschen einen Spiegel vorhalten", um ihnen begreiflich machen, was Roma-Feindlichkeit bedeute.
Für den bereits vorliegenden Katalog, auf dem die Ausstellung im Dokumentationsarchiv basiert, hat Schmiedt Akten der Nazis über ihre Vorfahren zusammengetragen. Zu sehen sind etwa Schreibstuben- und Effektenkarten aus Konzentrationslagern, auf denen penibel jeder abgegebene Hut und jedes Paar Socken angeführt sind.
Zornerfülltes, rotes Plakat
Die Einweisungsfotos der Großmutter Amalia Horvath aus dem Konzentrationslager Ravensbrück sind dabei, die Schmiedt erst im Jahr 2000 im Bundesarchiv Berlin fand. Sie nahm es später her, um ein in rot gehaltenes, zornerfülltes Plakat über diskriminierende Kontinuitäten zu gestalten, indem sie ihr eigenes Bild beifügte (siehe oben). Die Aufschrift "An undesirable Society" ("eine unerwünschte Gesellschaft") entspricht dem Titel eines ihrer Filme.
Dann, mittendrin, ufert die Schau ins Persönliche aus. Im Zentrum steht Margit Schmiedt, die Mutter der Künstlerin. 1938, mit nur einem Jahr, kam sie in Pflege, als ihre Mutter Amalia ins Konzentrationslager musste, wo sie 1942 starb. Auf einmal stehen in der Schau Margits Kindheit und Jugend im Zentrum: Nachkriegsjahre, die von Ausgrenzung bestimmt waren und ihr Verhältnis zu den zwei Töchtern prägte.
Spätwirkungen der Verfolgung
Fotos und Briefe dokumentieren diese Spätwirkungen der Nazi-Verfolgung. Da ist eine seitenlange, penible Handlungsanleitung zu lesen, wie Tochter Marika während eines Spitalsaufenthalts der Mutter deren Pudel zu versorgen hat. Jeder Handgriff wird vorgeschrieben, ein Ausdruck größter Verunsicherung.
Es sei dies das erste Mal, dass in einer Ausstellung des Dokumentationsarchivs auf die Situation der sogenannten zweiten Generation eingegangen werde, sagt dazu Christine Schindler, eine Mitarbeiterin. Es sind jene Nachgeborenen, die die Ermordeten selber nicht kannten, aber in ihrem Schatten leben und samt ihren Kindern jetzt in Europa vielerorts mit den sich zuspitzenden Nachstellungen konfrontiert sind.
"Es bedeutet tiefe Trauer"
Wie ist dieses Wiederaufflammen von Roma-Verfolgung zu erklären? Die Geschichte der "fahrenden Völker" in Europa sei "eine, die fortschreitet, ohne Fortschritte hervorzubringen, eine der Veränderungen, auf die Europa wenig stolz sein kann", schreibt Buchautor Bogdal dazu. Die Herausforderungen, meint er, seien immens, denn die "Zukunftsfähigkeit" Europas werde auch am Umgang mit den geschätzten zwölf Millionen Roma zu messen sein. Diesbezüglich ist Marika Schmiedt wenig optimistisch. Auf die Frage, wie sie Roma-Sein heutzutage charakterisiert, antwortet sie: "Es bedeutet tiefe Trauer." (Irene Brickner, DER STANDARD, 7.2.2015)