Wien – Es gibt Fälle, in denen die Justiz Probleme hat, stringent zu bleiben. Gerhard B. ist so ein Fall. Er sitzt seit 4. Februar 2013 in Untersuchungshaft und hat damit die maximal zulässige Dauer für U-Haft bereits überschritten. Er wurde wegen des gleichen Delikts in zwei unterschiedlichen Verfahren einmal schuldig und einmal freigesprochen.

Mit Herrn B. (48) haben bereits Zehntausende Österreicherinnen und Österreicher zu tun gehabt. Er ist das Mastermind der Marke "Friedrich Müller", die in den vergangenen Jahrzehnten in halb Europa Gewinnspiele veranstaltet hat. Was heute oft als unseriöse Massen-E-Mail im Spamfilter landet, hatte Herr B. über den analogen Versandhandel aufgebaut. Konsumentenschützer waren ihm seit dem Jahr 2000 auf der Spur.

Antwort von Böhmdorfer

Betrugsvorwürfe konnte er aber lange abwehren. In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage stellte 2002 der damlige Justizminister Dieter Böhmdorfer (FPÖ) fest: "Das bei den Gewinnspielen verwendete Prospektmaterial war zwar geeignet, leicht zu Missverständnissen und unberechtigten Gewinnhoffnungen Anlass zu gegeben", "für einen verständigen Leser" habe sich aber "eine strafrechtlich relevante Täuschung über einen objektivierbaren Tatsachenkern nicht ableiten lassen".

Expertise von Brandstetter

Schmankerl am Rande: Auch der heutige Justizminister Wolfgang Brandstetter stellte damals in einer Expertise zumindest einer der "Friedrich Müller"-Spielvarianten das Zeugnis aus, dass kein strafrechtlicher Verstoß vorliege.Im Vorjahr fasst B. schließlich im Wiener Landesgericht für umstrittene Gewinnspiele zwischen August und Dezember 2008 – nicht rechtskräftig – vier Jahre unbedingte Haft aus.

Für den Senat unter Richterin Stephanie Öner war es erwiesen, dass der Geschäftsmann zahlreiche Kunden um 760.000 Euro betrogen habe, indem er ihnen per Postwurf fixe Gewinne vormachte, diese Zusagen jedoch mit Express- oder Bearbeitungsgebühren verknüpfte und Konsumenten dazu brachte, ihm jeweils eine Gebühr in Höhe von zehn bis 100 Euro zu überweisen. Das Gericht ging im Schuldspruch auch von Manipulationen beim "Millionenspiel" (einer Sonderform, bei der ein Gewinn von einer Million Euro suggeriert wurde) aus. B. und seine Anwälte Herbert Eichenseder und Jürgen Stephan Mertens haben Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung eingelegt. B. blieb in Untersuchungshaft.

Sechs Wochen später kam für B. die gute Nachricht: Freispruch, im Zweifel. Im Prozess zu einem Verfahren, das bereits 2007 eingeleitet worden war, ging es um angeblichen Betrügereien beim "Jackpot"-Gewinnspiel im Zeitraum 2000 bis 2004.

Fußfessel abgelehnt

Der Senat unter Richterin Eva Brandtstetter befand, dass eine betrügerisches Vorgehen "nicht mit der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden kann". Auch dieser Freispruch ist bisher nicht rechtskräftig. Weil auch alle Enthaftungs- und Fußfesselanträge abgewiesen wurden, ist B. nun hinter Gittern in einen Hunger- und Durststreik getreten. (simo, Der Standard, 7.2.2015)