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Wende nach fünf Jahren Sparkurs: Premier Alexis Tsipras gab seine erste Regierungserklärung ab. Griechenlands Schuldenproblem ist Thema beim Treffen der G-20-Finanzminister am Montag und Dienstag, bei der Eurogruppe am Mittwoch und beim EU-Gipfel am Donnerstag.

Foto: AP/Petros Giannakouris

Athen/Wien – Die Gläubiger haben eine große Sanduhr aufgestellt. Eine Woche hat Griechenlands Links-rechts-Regierung noch Zeit, um Ja zu sagen zu einer Verlängerung des Finanzhilfsprogramms – mit weiteren Sparauflagen natürlich. Dann ist die Frist um, in der die Parlamente der Euroländer noch rechtzeitig der Sonderregelung für die Griechen zustimmen könnten, so rechnete Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem, der niederländische Finanzminister, vor. Danach wird Griechenland nichts mehr in der Kasse haben.

Solchermaßen unter Druck gesetzt gab Griechenlands Premier Alexis Tsipras am Sonntagabend seine erste Regierungserklärung ab. Der 40-Jährige begann kämpferisch: "Die neue Regierung hat nicht das Recht, eine Verlängerung der Kredithilfe zu verlangen. Sie kann nicht um die Verlängerung eines Fehlers bitten." Seine Regierung nehme auch nicht länger Anweisungen der Kreditgeber per Email an, verkündete Tsipras. Griechenlands nationale Souveränität sei nicht verhandelbar. Die Gläubiger forderte er auf, dem Land ein Überbrückungsabkommen bis zum Sommer zu gewähren.

Die Bekämpfung der "humanitären Krise", gratis Strom und Lebensmittel für arme Familien sei die Priorität. Als Sparmaßnahmen führte Tsipras unter anderem die Halbierung der Wagenflotte der Ministerien von insgesamt 7500 Autos an, sowie den Verkauf von einer der drei Regierungsmaschinen. Auch das Personal in den Abgeordnetenbüros werde um ein Drittel gekürzt. Den Kampf gegen Korruption und Steuerhinterziehung erklärte Tispras zu einer weiteren Priorität seiner Regierung. Pensionskürzungen schloss Tsipras aus, das Pensionsalter solle nicht erhöht werden.

Zugleich soll es ein Wachstumsprogramm für die Wirtschaft geben. Der Privatisierung von Versorgungsbetrieben, Teilen der Infrastruktur und Bodenschätzen erteilte der Ministerpräsident erwartungsgemäß eine Absage. Privatisierungen sind allerdings Teil der bisherigen Spar- und Reformprogramme, die Griechenland mit seinen Kreditgebern vereinbart hat.

Seine Regierung werde von Deutschland Wiedergutmachung für Zerstörungen während des Zweiten Weltkrieges sowie die Rückzahlung eines Zwangskredits fordern, der Griechenland für die Besatzungskosten abgenötigt worden war, sagte Tsipras zum Schluss seiner Regierungserklärung. Die Regierung in Berlin hat jedoch wiederholt signalisiert, dass die Reparationsfrage für Deutschland erledigt sei.

Faschisten als Nutznießer

"Realistisch oder unrealistisch – diese Regierung wurde gewählt, um die Bedingungen für die Finanzhilfe zu verändern", sagte ein ehemaliger hoher griechischer Diplomat. "Sie weiß, dass dies sehr schwierig sein wird, vor allem in Hinblick auf Deutschland." Ein Scheitern der Regierung Tsipras und eine Unterwerfung unter die Forderungen der Kreditgeber von EU, EZB und IWF würden aber zu einem Rückschlag in der griechischen Gesellschaft führen, so fürchtet der Diplomat. Die Nutznießer wären die Faschisten der Partei Goldene Morgenröte, die als drittstärkste Kraft aus den Parlamentswahlen hervorgingen.

Neue Umfragen scheinen zu zeigen, dass mittlerweile eine Mehrheit der Griechen über das Regierungslager hinaus Tsipras’ Forderung nach einer Neuverhandlung der Schuldenfrage unterstützt. 72 Prozent der Befragten, darunter 43 Prozent Wähler der konservativen früheren Regierungspartei Nea Dimokratia, waren es zuletzt. Auch die ungewohnten Pro-Regierung-Demonstrationen gehen weiter: Für Mittwoch rufen Anhänger von Syriza zu einer weiteren Solidaritätsversammlung vor dem Parlament in Athen auf. Zur selben Zeit kommt dann in Brüssel die Eurogruppe außerplanmäßig zusammen, um über das Griechenlandproblem zu beraten.

Finanzminister Yiannis Varoufakis will bei der Sitzung der Eurogruppe bei seinem Nein zum Abschluss des bisherigen Kreditprogramms bleiben. Statt der letzten Rate von 7,2 Mrd. Euro will er die EZB zur Wiederannahme griechischer Schuldscheine bewegen.

Verbündeter Faymann

Zwei Wochen nach ihrem historischen Wahlsieg muss die griechische Linke feststellen, dass sie in den EU-Hauptstädten zwar oft herzlich empfangen wurde, aber bei der Frage von Schuldenschnitt und Sparauflagen unter dem Strich nichts bewegen konnte. Regierungssprecher Gavriel Sakellaridis gibt sich gleichwohl unbeeindruckt wie der Rest des Kabinetts. "Wir werden eine für alle akzeptable Lösung finden", sagte er dem Standard, "aber wir werden natürlich auf unserer Grundposition beharren." Am Montag wird Tsipras in Wien bei Kanzler Werner Faymann sein. Der zeigt Verständnis für die Linke in Athen und rügte ungewohnt deutlich im Interview mit dem Kurier seine mächtige deutsche Kollegin Angela Merkel mit ihrem "Plan des Abwartens" zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise in Europa. Der Besuch diene dazu, um die griechische Position vor dem Eurogruppentreffen am Mittwoch und dem EU-Gipfel am Donnerstag klarzustellen, sagte Sakellaridis. Tsipras setzt ganz offensichtlich auf Unterstützung durch Österreich, Italien und Frankreich. Zuvor, am Dienstag um Mitternacht, stellt sich seine Regierung der Vertrauensabstimmung im Parlament. Die Mehrheit gilt als sicher. (Markus Bernath, DER STANDARD, 9.2.2015)