Feistmantl vorne, Stengl hinten: Bei der olympischen Premiere der Rennrodler gewannen die beiden Österreicher 1964 in Innsbruck Gold im Bewerb der Doppelsitzer. Und das in aller Herrgottsfrühe.

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Rodeln anno 1964: Einweihung der Bahn von Innsbruck.

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Wien - Der zweite Durchgang war Formsache. Mit einer halben Sekunde Vorsprung gingen Josef Feistmantl und Manfred Stengl auf den Sieg im olympischen Rodelbewerb der Doppelsitzer los, erhalten blieben letztlich drei Zehntel. Der 5. Februar 1964, Gold für Österreich! Das zweite nach dem Erfolg von Egon Zimmermann in der Abfahrt! Doch dem freudigen Ergebnis zum Trotz brach an der Bahn kein Jubel aus, in Innsbruck-Igls herrschte Stille. "Der Bewerb fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt", erinnert sich der 75-jährige Feistmantl zurück.

Um den Teilnehmern faire Bedingungen zu gewähren, sei das Rennen kurzfristig in aller Herrgottsfrühe angesetzt worden. Andernfalls hätte sich die Naturbahn bei den zu erwartenden Temperaturen unter den Kufen zersetzt. So aber glitt der österreichische Schlitten, Feistmantl vorne, Stengl hinten, zu einer nicht nur in ihrer Deutlichkeit überraschenden Bestzeit. "Ich hatte mir größere Chancen im Einsitzer ausgerechnet", sagt Feistmantl. Gegen die deutschen Athleten sei aber kein Kraut gewachsen gewesen. Der fünfte Platz war ein Wermutstropfen, wenn auch nur ein kleiner, denn "Gold glänzt da wie dort".

Tragödie

Die Rodelbewerbe von Innsbruck waren eine olympische Premiere, und sie begannen mit einer Tragödie. Noch vor der Eröffnung verunglückte Kazimierz Skrypecki bei einer Trainingsfahrt tödlich. Der in Polen geborene Brite, er wäre mit 54 Jahren der älteste Teilnehmer der Spiele gewesen, fuhr über die Bande hinaus und schlug mit dem Kopf auf einer gefrorenen Wiese auf. Sicherheit wurde in jenen Zeiten nicht überaus großgeschrieben, Feistmantl erzählt von grenzwertigen Zuständen: "Bei einem Fahrfehler ist man aus der Bahn geflogen. Wenn dahinter ein Felsen lag, war es vorbei." Zum Gedenken an Skrypecki wurde die olympische Fahne während der Tage von Innsbruck mit einem Trauerflor versehen, eine Gedenkminute unterbrach die Eröffnungsfeier.

Geschwindigkeitsrausch

Feistmantl und Stengl ließen sich durch die Ereignisse nicht aus dem Konzept bringen, beide seien "fokussiert, ehrgeizig, geradezu fanatisch" gewesen. Der Kontakt zu Stengl entstand über dessen im Rodelverband tätigen Vater, man hätte sich auf Anhieb ideal ergänzt, "Manfred war ein intelligenter und sportlich ambitionierter Bursch". Später wechselte Stengl den Untersatz und gewann bei der Weltmeisterschaft 1975 Bronze im Viererbob. Die Geschwindigkeit hatte es dem Salzburger angetan, sie sollte ihn auch das Leben kosten. 1992 kam er bei der Tourist Trophy, einem berüchtigten Motorradrennen auf der Isle of Man, 46-jährig zu Tode.

Den Sport entdeckte der in Hall in Tirol geborene Feistmantl schon im Kindesalter. Er und seine Brüder hätten sich unablässig auf die Rodel geschwungen. Der Vater sah dem halsbrecherischen Treiben der Buben selten zu, nicht aus Sorge um den Nachwuchs, nein, dem arbeitsamen Gastwirt "fehlte es einfach an Zeit".

Statt Fußball

Richtig ernst wurde es Feistmantl, als er bei der Jugend-EM 1954 in Davos auf den "vierten oder fünften Platz" fuhr. Und dies, obwohl sein Hauptsport "eigentlich der Fußball" war. In Wattens trat Feistmantl die Haut, die Naturbahnen konnten ohnehin erst Ende November errichtet werden. Reichlich Löcher hätten jene Kanäle gehabt, so sei es ein Segen im Sinne der Chancengleichheit gewesen, als 1968 die erste Kunsteisbahn im bayerischen Königssee entstand. Ebendort krönte sich Feistmantl ein Jahr später vor seinem Landsmann Manfred Schmid zum Weltmeister der Einsitzer, hinter den beiden Österreichern versammelten sich die Athleten der DDR.

"Wir haben viel Zeit in die Schlitten gesteckt, wir waren Tüftler", sagt Feistmantl. Intensives Krafttraining sei zudem Gebot gewesen, der Aerodynamik wurde eine wachsende Rolle zuteil: "Ein Drittel der Strecke sind wir blind gefahren." Aber auch das langersehnte Einzelgold schmeckte bittersüß. Der Pole Stanislaw Paczka wurde im zweiten Lauf aus einer Kurve getragen und erlag seinen Verletzungen. "Er ist vor mir gestartet", sagt Feistmantl. Der Tod seines Kollegen sei ihm sehr nahe gegangen. Bei der Siegerehrung überreichte er die Goldmedaille der polnischen Equipe.

Aussteigen

Nach seiner dritten Teilnahme an Olympischen Spielen, in Sapporo 1972, stieg Feistmantl endgültig von der Rodel. Mit einem zehnten Platz in der Einzelwertung sei der Bewerb zwar nicht nach Wunsch verlaufen, dies hätte aber nicht den Ausschlag gegeben, "der Entschluss ist im Vorfeld gereift." Dass es nie zu einer Einzelmedaille bei den Spielen gereicht hatte, sei nicht einfach zu verdauen gewesen, die Erklärung hat Feistmantl aber längst gefunden: "Die anderen waren besser." Wäre es nach dem ausgeschlossenen Karl Schranz gegangen, dann wäre Feistmantl in Sapporo erst gar nicht angetreten: "Er verteilte Anti-Brundage-Sticker und wollte, dass wir auf den Start verzichten. Für uns Sportler völlig undenkbar."

Und trotz Olympiasieges und Weltmeistertitels, der größte Moment des Josef Feistmantl sei ein anderer gewesen: das Entzünden des olympischen Feuers bei den Spielen von Innsbruck 1976. Auf dem Bergisel nahm er gemeinsam mit Christl Haas, ihres Zeichens Abfahrtsolympiasiegerin von 1964, die Treppen zu den Feuerschalen in Angriff: "Ich war furchtbar aufgeregt und dann auch noch zu spät dran. Eigentlich sollte ich gehen, aber ich musste laufen." Kurz dachte Feistmantl, ihm würde die Luft ausgehen, dann loderte schon die Flamme.

Dem Rodelverband blieb Feistmantl nach der Karriere erhalten, er arbeitete bei den Spielen von Lake Placid 1980 und Sarajewo 1984 als technischer Trainer. Hauptberuflich aber war er Optiker. Nach 20 Jahren bei Swarowski verabschiedete sich Feistmantl in die Selbstständigkeit: "Ich erteile lieber Befehle, als sie zu erhalten." Die Läden auf der Wiener Kärntner Straße und in Kufstein betrieb er bis 2011, jetzt ist sein Sohn Marcus Geschäftsführer.

Vorbild Tiger Woods

Ob es eines der drei Kinder jemals zum Rodeln verschlagen habe? "Zum Glück nicht, sie hatten schulischen Erfolg." Das Enkelkind aber sei ein talentierter Golfer, Tiger Woods das aktuelle Vorbild. "Gescheiter als Rodeln", sagt Feistmantl. Auf dem Schlitten sei kein Auskommen zu finden, niemals hätte er mit dem Sport Geld verdient. Nach dem Olympiasieg gab es großen Bahnhof in Absam, der Bürgermeister versprach ein Grundstück. Bekommen hat er es nie: "Er ist gestorben. Später hieß es, die Zusage wäre ohne Genehmigung durch den Gemeinderat erfolgt."

2005 wurde Feistmantl, der mit seiner Frau Erica in Kufstein lebt, in die Hall of Fame seines Sports aufgenommen. Wenn alle heiligen Zeiten ein Rodelrennen übertragen wird, dreht er den Fernseher auf, dann komme alles zurück: "Im Sommer Fußball, im Winter Rodeln. Ich würde es wieder tun. Sport war unser Leben." (Philip Bauer, DER STANDARD, 09.02.2015)