Willkommen zur Episode II von "Serienreif". Wenn Sie wissen wollen, was wir hier genau versuchen, bitte hier entlang. Für alle anderen geht es direkt in die Materie. Am 27. Februar wird die dritte Staffel von "House of Cards" auf Netflix in den USA zu sehen sein. Über diese Serie wollen wir uns hier diesmal unterhalten – und zwar mit der zentralen Frage: Wie böse ist "House of Cards"? Mini-Disclaimer: Der Text kann Spuren des Inhalts aufweisen.

Daniela Rom: Für mich ist die zentrale Frage nicht, wie böse "House of Cards" ist, sondern wie böse Frank und Claire Underwood eigentlich sind. Die Berechnung, mit der die Underwoods Privates oder Intimes ausspielen, um ein Ziel zu erreichen, mit der Freund und Feind ausgetrickst werden, um sich weiter nach vorn zu arbeiten, das ist für mich das Böse an der ganzen Serie.

Michaela Kampl: Meiner Meinung nach sind es weniger die Charaktere, die besonders böse sind, als eher das Bild, das vom politischen Betrieb in Washington gezeichnet wird. Es ist quasi der serielle Gegenentwurf zu "West Wing". Während dort immer das Gute oder eben moralisch Richtige als Ziel definiert wird und auch in Grundzügen ein angestrebter Gesellschaftsentwurf umrissen wird, geht es bei "House of Cards" eigentlich um nichts. Also um Macht um der Macht willen. Frank will Präsident werden. Warum und was er als Präsident machen will, wissen wir nicht. Das pure Nichts. Aber vielleicht ist das nicht unbedingt das pure Böse.

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Doris Priesching: Hallo zusammen, freu’ mich, dass ich in die Runde einsteigen darf! Ich denke, das Böse in "House of Cards" ist der obszöne Umgang mit Macht, und da steht Frank von allen Beteiligten an vorderster Stelle. Frank ist schamlos in jeder Beziehung: Er benutzt alles und jeden, um an die Macht zu kommen. Er täuscht, lügt, betrügt, tötet, lässt töten – und all das aus reinem Selbstzweck. Insofern gebe ich dir recht, Michi, es geht um das Nichts – und gleichzeitig doch um alles: eine pervertierte Vorstellung von Kontrolle. Und das verbindet: Claire und Frank sind ganz angefixt von der Idee, die Schalthebel der Macht zu bedienen. Claire ist ja für mich die interessantere Figur, und ich find’s sehr o.k., dass da endlich auch einmal eine Frau böse und gleichzeitig anziehend sein darf. In Fernsehserien hat man das noch nicht so oft gesehen.

Julia Meyer: Claire ist vor allem psychologisch die spannendere Figur. Sie ist brüchig, wenn auch nur an wenigen Stellen. Gerade dadurch, dass hin und wieder biografische Details eingeflochten werden, die sie verletzlich machen – wie die Vergewaltigung oder ihre Beziehung zu Adam –, und sie genau diese Verletzlichkeiten ummünzt, um umso kaltblütiger zu werden, macht ihre Entscheidung zur Macht radikaler.

Daniela Rom: Seh ich auch so, Claire ist die spannendere Figur von den beiden. Aber was mich am meisten interessiert, ist die Dynamik zwischen Claire und Frank: Was hält die beiden zusammen außer ihrem gemeinsamen Streben nach Macht? Inwiefern pushen sie sich gegenseitig, immer weiter zu gehen? Wären die beiden einzeln auch schon "böse Menschen", oder macht die Beziehung sie erst böse? Gibt es für die beiden Limits in ihrem Machtstreben? Dazu kommt: Die beiden sind ein sehr liebevolles Paar, es wirkt nicht wie eine reine Zweckgemeinschaft.

Michaela Kampl: Ich glaub, die beiden sind Partners in Crime. Aber auch nicht immer. In der ersten Staffel gibt es, wenn ich mich richtig erinnere, einen Moment, wo Claire Frank ausbootet und schamlos übergeht. Die Allianz zwischen beiden hält so lange, wie sie für beide zur Erreichung des Ziels notwendig ist. Und in diesem Bestreben sind sie sich einig, woraus wiederum das Verständnis füreinander kommen könnte.

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Kevin Spacey und Robin Wright als Frank und Claire Underwood.
Foto: AP Photo/Netflix, Nathaniel E. Bell

Doris Priesching: Du meinst, als sie ihn betrogen hat?

Michaela Kampl: Nein, damit mein ich nicht die Affäre. Sondern da geht irgendein Gesetzesentwurf von ihm gegen ihr Ding mit der Clean-Water-NGO. Und da zögert sie keinen Augenblick, alles, was irgendwie geht, in Bewegung zu setzen, damit sie ihre Interessen durchsetzt. In diesem Moment wird Frank auch nur zu einer Spielfigur. Oder erinner ich mich da falsch?

Doris Priesching: Ich nur grob, ist aber auch egal. Die zwei sind einfach ein bissl pervers, was den Umgang mit der Macht betrifft. Mich erinnern sie ja ein bisschen an die Clintons.

Julia Meyer: Sie sind vor allem beide seltsam apolitisch im Sinne von frei von politischer Ideologie, von (moralischen) Werten. Das knüpft an das an, was Michaela eingangs als den irritierenden Aspekt beschrieben hat, nämlich dass es hier "um nichts" geht. Hochpolitisch dann eben, aber auch das wurde schon erwähnt, im machiavellistischen Sinne, Macht um ihrer selbst willen zu erzeugen und zu erhalten.

Michaela Kampl: Ich frag mich, warum ich sie aber trotzdem irgendwie sympathisch finde. Oder irgendwie nachvollziehbar – wisst ihr, was ich meine?

Doris Priesching: Wir fallen alle zusammen auf einen raffinierten Kunstgriff herein: "House of Cards" wird oft im Zusammenhang mit Shakespeare-Dramen genannt. Wie Richard III. wendet sich Frank an uns, das Publikum. Das heißt: Er weiht uns ein, macht uns zu Mitwissern, in gewissem Sinn auch zu Verbündeten. Wir wissen um seine Motive, sind vielleicht ein bisschen schockiert, aber den meisten gefällt, was sie sehen, nehme ich mal an. Und Claire schaut einfach fantastisch aus.

Julia Meyer: Die Selbstdisziplin ist hier einfach faszinierend. Körperlich wirkt ja vor allem sie auch manchmal roboterhaft. Sie ist wunderschön, und gleichzeitig scheint das Erhalten dieser Schönheit weniger ein persönlicher Wunsch zu sein denn Funktion. Genuss kommt hier vielleicht höchstens in Form der geteilten Zigarette vor, des Running Gags der Serie. Wichtig finde ich noch, dass dadurch, dass sich Frank an das Publikum wendet, er das Geschehen zu SEINER Geschichte macht. Er wird dadurch auch im narrativen Sinne souverän, zumindest stellenweise.

Daniela Rom: Irgendwie ist es halt schon lässig, wie die Underwoods sich da nach oben arbeiten. Was mich zum Beispiel stört, sind solche Sachen wie die zwei Morde, die Frank begeht. Da frag ich mich, wozu brauch ich das? Frank ist böse, dafür muss er keinen um die Ecke bringen, damit ich das kapiere. Das halte ich für eine Schwachstelle der Serie.

Julia Meyer: Ja, sie sind irgendwie lässig in ihrer Radikalität. Deswegen trotzen sie mir auch immer wieder 'ne perverse Form der Bewunderung ab! Und ja, es ist stellenweise schlicht zu viel des Bösen. Das sind auch genau die Stellen, wo die Figuren und vor allem Frank in Gefahr sind, zu bloßen Typen zu werden. Der fantastischen Darstellerleistung sei Dank, dass es trotzdem Charaktere bleiben.

Doris Priesching: Seien wir uns ehrlich: Die zweite Staffel war großteils nervig. Zu viele Posen: "Schaut her, wie böse wir sind!" Da muss sich in der dritten schon was ändern, sonst lässt sich der Hype inhaltlich schwer begründen.

Ich muss aber unbedingt noch was zur Connection Clinton/Underwood sagen: Historisch betrachtet, ist Frank ja der schamloseste amerikanische Staatsmann seit Bill Clinton. Wobei Clintons Niedertracht sich auf der ausschließlich privaten, sozusagen triebgesteuerten Ebene abspielte. Franks Gemeinheit betrifft sein Verhältnis zur Macht. Das ist aber mindestens ebenso erotisch aufgeladen wie jenes von Bill Clinton anno dazumal. Erinnern wir uns, wie der reale US-Präsident begründete, warum er nach der Lewinsky-Affäre nicht zurücktrat: "Ich würde niemals die Menschen dieses Landes, die so viel Vertrauen in mich gesetzt haben, im Stich lassen." Davon könnte selbst Frank noch lernen. Und wie Claire hielt auch Hillary dem mächtigsten Mann der Welt den Rücken frei.

Julia Meyer: Ich fand Bill Clinton ja mitunter sehr amüsant. Und wahrscheinlich aus ähnlichen Gründen, derentwegen ich Frank Underwood amüsant finde.

Michaela Kampl: Ich gesteh jetzt mal ganz was Banales zu Claire: Sie und Lena Dunham waren mitverantwortlich fürs Haareabfichteln meinerseits. Und ich such überall nach so eisgrauen Wollkleidern. Echt jetzt.

Doris Priesching: Was heißt hier abfichteln? Ich geh seit der ersten Staffel von "House of Cards" mit Claires Foto zum Friseur. Am coolen Gesichtsausdruck arbeite ich noch ...

Julia Meyer: Ich möchte anfangen zu joggen.

Daniela Rom: Und ich zu rudern. (Doris Priesching, Daniela Rom, Michaela Kampl, Julia Meyer, derStandard.at, 11.2.2015)