Demyelinisierung bei multipler Sklerose. In der Markscheidenfärbung ist eine deutliche Abblassung der (hier blau gefärbten) Markscheiden im Bereich der Läsion erkennbar

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Rund 8.000 Österreicher leiden an Multipler Sklerose. Das Zentrum für Hirnforschung der MedUni Wien gilt bei der Erforschung der Mechanismen bei Multipler Sklerose (MS) als weltweit führend.

Jetzt hat ein internationales Forscherteam aus Edinburgh, Cleveland und Wien erstmals den pathologischen Ablauf der Erkrankung vom Früh- bis zum Spätstadium zusammengefasst und auch gezeigt, dass entzündliche und neurodegenerative Prozesse gleichzeitig eine Rolle spielen. Das könnte neue Therapie-Optionen ermöglichen.

Zwei Kategorien

Bisher gab es zwei Ansätze für die Kategorisierung der Erkrankung: Der erste betrachtet die MS als eine in allen Stadien entzündliche Erkrankung des Nervensystems, wobei die Entzündung auch für die folgenden neurodegenerativen Schädigungen verantwortlich ist.

Der zweite Ansatz postuliert, dass die Erkrankung von einer entzündlichen schließlich in eine neurodegenerative übergeht. Im aktuellen Paper zeigt das Forscherteam aber erstmals, dass die Multiple Sklerose aus beiden Faktoren besteht - und zwar dass der Entzündungsprozess von Anfang an und bis zum Ende als "treibende Kraft" fungiert und dass in der so genannten progredienten, späteren Phase neurodegenerative Prozesse dazukommen, die das Gehirn schädigen.

Wirkungslose Medikamente

Der Entzündungsprozess, der sich im Frühstadium gut behandeln lässt, wird mit dem Alter aber immer weniger, dafür nehmen die neurodegenerativen Schädigungen zu. "Das erklärt auch, warum die Medikamente, die zunächst gut wirken, später ihre Wirkung verlieren", sagt Studienleiter Hans Lassmann.

Im späteren Stadium der Erkrankung werden "Amplifikationsmechanismen" in Gang gesetzt: Die Schädigungen werden dabei vervielfacht (amplifiziert) – und zwar als Kreislauf "in sich selbst", der immer weiter geht. Durch die neurodegenerativen Schäden im Gehirn werden Mikrogliazellen aktiviert, die ebenso die Erkrankung vorantreiben wie die Bildung von Sauerstoffradikalen, die Lipide und Proteine im Gehirn zerstören.

Gleichzeitig kommt es zur Schädigung von Mitochondrien, den Kraftwerken und Energiespendern der Zellen im Gehirn. Dadurch - und durch die normale Gehirnalterung und die damit verbundene Eisenablagerung - kommt es ebenfalls zu weiteren Schädigungen.

Neue Therapieansätze

Auf den neuen Erkenntnissen aller dieser Mechanismen könnten nun neue Therapieansätze fußen, so die Forscher. "Dabei gibt es zwei Wege", so Lassmann. Zum einen, dass man Pharmaka entwickelt, die eine anti-entzündliche Wirkung auch im Gehirn entfalten und nicht nur die Abwehrreaktion im Blut und in lymphatischen Organen dämpfen. Zum anderen, dass man neuroprotektive Therapien entwickelt, die die Amplifikationsmechanismen und die Schädigung der Mitochondrien präventiv blockieren und dadurch die Folgeschäden verhindern.

Auf Basis der nun präsentierten Daten laufen bereits klinische Studien mit einigen potenziell einsetzbaren Medikamenten, Ergebnisse werde es aber in frühestens fünf Jahren geben, erklärt Lassmann: "Ich rechne aber fest damit, dass es in absehbarer Zeit, also in den nächsten fünf bis zehn Jahren, erfolgreich gelingen wird, etwas gegen die Amplifikationsmechanismen zu tun und damit die progrediente Phase weiter zu verzögern."

Diesen Amplifikationskreislauf im Gehirn gibt es auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson, aber auch bei normaler Gehirnalterung. Daher könnten auch hier diese neuen Therapien aus der MS-Forschung hilfreich werden.

Beschädigte Nervenfasern

Rund 8.000 Österreicher leiden an Multipler Sklerose, weltweit sind es etwa 2,5 Millionen Menschen. MS ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, bei der die Isolierschichten der Nervenfasern zerstört werden. Die Mechanismen der Entzündung im Nervensystem sind weitgehend aufgeklärt.

Auf der Basis dieser Erkenntnisse stehen wirksame Therapien zur Verfügung, die den Verlauf verzögern können. Bei Betroffenen mit bereits fortgeschrittener Erkrankung zeigen diese Therapien aber nur sehr begrenzte Wirkung.

Die genaue Ursache von MS ist bisher nicht bekannt. Möglich ist, dass es sich um eine Autoimmunerkrankung handelt. Ebenso könnte sich die überbordende Immunantwort aber gegen einen infektiösen Erreger richten, der noch nicht entdeckt wurde. (red, derStandard.at, 9.2.2015)