Wir bauen sichere Schiffe, die nicht einmal Kapitän Francesco Schettino versenken kann." Als im Oktober 2014 die Kreuzfahrt-Reederei Costa Crociere ihr neues Schmuckstück Costa Diadema vorstellt, gilt der Leiter der Costa Concordia längst als Inbegriff maritimer Inkompetenz.

Der Unglücksort.

Dieses Zitat vom Leiter der Schiffswerft passt also gut ins Bild, das Medien, Experten, Staatsanwälte und Überlebende des Schiffsunglücks vom 13. Jänner 2012 von Schettino zeichnen. Nun, nach einem siebenmonatigen Prozess, wird am Mittwoch oder spätestens am Donnerstag das Urteil über den Kapitän gefällt. Ein Schuldspruch für "Capitano dilettante", wie ihn italienische Medien getauft haben, gilt als wahrscheinlich.

Ist von der Costa Concordia die Rede, steht vor allem Francesco Schettino im Mittelpunkt. Videos, Bilder, Telefonprotokolle und Zeugenaussagen lassen – grob zusammengefasst – auf Folgendes schließen: Am Abend des 13. Jänner 2012 läuft der mittlerweile 54-jährige Italiener mit seiner ihm anvertrauten Costa Concordia aus dem Hafen von Civitavecchia aus. An Bord des etwa 290 Meter langen und rund 35 Meter breiten Kreuzfahrtschiffs befinden sich 4.232 Menschen, davon ungefähr 3.200 Passagiere.

Bild nicht mehr verfügbar.

Die Costa Concordia vor der Insel Giglio.
Foto: Reuters

Durch das enge Passieren – im Italienischen "inchino" genannt, eine Verbeugung – der Insel Giglio rammt das Schiff einen Felsen, der einen etwa 70 Meter langen Riss an der Backbordseite des Schiffs hinterlässt und die Costa Concordia in der Folge manövrierunfähig macht. Anstatt dies aber zu melden und eine sofortige Evakuierung einzuleiten, redet Schettino die Schwierigkeiten klein und meldet der Hafenaufsicht lediglich eine "kleine Störung". Als schließlich doch die – unkoordinierte und daher pannenbehaftete – Evakuierung anläuft, wird rasch klar, dass Schettino das Schiff als einer der Ersten verlassen hat. 32 Menschen verlieren in dieser Nacht ihr Leben.

CNN erklärt die Havarie der Costa Concordia.
CNN

Einen Tag später nimmt die Polizei Schettino fest. Im Juli 2014 wird er schließlich wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung, des vorzeitigen Verlassens des Schiffs während der Evakuierungsaktion, der Verursachung von Umweltschäden und wegen falscher Angaben an die Behörden angeklagt.

Die Staatsanwaltschaft fordert 26 Jahre und drei Monate Haft sowie ein lebenslanges Berufsverbot. In ihrem Schlussplädoyer im Jänner 2015 beschrieb sie Schettino als Mischung aus "einem leichtsinnigen Optimisten und einem wendigen Idioten". Wirft man einen genaueren Blick auf das Verhalten Schettinos während der und nach der Havarie, kann man den Anklägern diese ungewöhnlich drastische Charakterbezeichnung eigentlich kaum übel nehmen.

Der etwa 70 Meter lange Riss in der Costa Concordia.
Foto: Christian Fischer

Schettinos Motivation, eine Verbeugung durchzuführen, ist dabei noch das geringste Übel. Drei Fliegen mit einer Klappe wollte er damit schlagen, gab er zu Protokoll: Einem aus Giglio stammenden Schiffskellner und einem Kapitän auf der Insel wollte er einen Gefallen tun und gleichzeitig den Passagieren ein Spektakel bieten. Schließlich hätten dadurch die Passagiere aus nächster Nähe Bilder von der Insel schießen können.

Ein Passagier hat die Evakuierung der Costa Concordia mitgefilmt.
Matt Antcliff

Unfreiwillig amüsanter wird es bei Schettinos vorzeitigem Verlassen des Schiffs. Er sei bei der Rettungsaktion gestrauchelt und dabei unabsichtlich in ein Rettungsboot gestürzt, das ihn dann an Land brachte, lautet die Version des Kapitäns. Ein wenig später veröffentlichtes Video zeigt Schettino allerdings, wie er seelenruhig als einer der Ersten in ein Rettungsboot steigt.

Legendär ist auch das aufgezeichnete Gespräch zwischen Schettino und Gregorio Maria De Falco, einem Offizier der Küstenwache, in dem Letzterer den von Bord gegangenen Kapitän zur Rückkehr auffordert, um die Evakuierung zu leiten. "Vada a bordo, cazzo", was entschärft "Gehen Sie an Bord, verdammt noch mal" bedeutet, lautet der Spruch De Falcos, der in Italien zum geflügelten Wort wurde.

Gesprächmitschnitt: Die Hafenaufsicht fordert Schettino auf, wieder an Bord der Costa Concordia zurückzukehren.
The Telegraph

Auch sonst war Schettino selten um einen fragwürdigen Spruch verlegen, der das Bild von einem feigen, verlogenen und gleichzeitig selbstverliebten Kapitän zementierte. Hier einige Beispiele:

  • "Auf dem Schiff komme ich als Kapitän gleich nach Gott." (Schettino über seine Funktion an Bord des Schiffs)
  • "Wir haben nur ein technisches Problem." (Schettino in einem Telefonat mit der Hafenaufsicht direkt nach der Kollision)
  • "Ich bin gestrauchelt und lag plötzlich mit den Passagieren im Boot." (Schettino erklärt, weshalb er so früh von Bord ging)
  • "Das war nur ein banaler Unfall. (...) Am Ende ist es mir gelungen, einen frontalen Aufprall zu verhindern." (Schettino in einem TV-Interview über die Havarie)
  • "Die Menschen schreien auch in Achterbahnen." (Schettino antwortet auf die Frage, ob es aufgrund der vielen schreienden Menschen nicht Grund für einen schnellen Generalalarm auf dem sinkenden Schiff gegeben habe)

Dass Schettino im Juli 2014 an einer römischen Universität einen Vortrag über Panik-Management hielt, sorgte schließlich für den Höhepunkt der öffentlichen Empörung. "Ich bin weltweit gereist, ich weiß, wie man sich in Notsituationen verhält und wie man mit Crewmitgliedern aus unterschiedlichen Ländern umgeht", rechtfertigte der Kapitän seinen Auftritt. Bildungsministerin Stefania Giannini hatte dazu wenig überraschend eine andere Meinung, sie sprach von einem Affront gegenüber der Familien der 32 Todesopfer.

Schaulustige fotografieren die Costa Concordia.
Foto: Christian Fischer

So weit, so eindeutig scheint es also zu sein: Schettino ist der Böse, "Kapitän Feigling" gehört hinter Gitter. An einem Schuldspruch zweifelt auch niemand außer er selbst und seine Verteidiger, die einen Freispruch fordern. Zwar räumen sie eine Teilschuld ein – Schettino entschuldigte sich bei den Hinterbliebenen der Opfer –, ansonsten schießen sie sich aber auf die Staatsanwaltschaft, die Crew oder die Reederei ein, und er rühmt sich sogar, die Costa Concordia nach der Kollision noch so nahe ans Ufer befördert zu haben, um die Rettungsaktion zu erleichtern. Gutachter haben dies allerdings bereits widerlegt. Das Schiff war längst manövrierunfähig, Wind und Strömung hätten es noch näher ans Ufer befördert.

Die Crew hätte ihn nicht ausreichend über die Lage informiert, sagte Schettino vor Gericht aus. Ansonsten hätte er in "30 Sekunden" alles wieder in Ordnung gebracht. Es war vor allem der Steuermann, den Schettino ins Visier nahm. Seine Befehle hätte er nicht befolgt oder einfach falsch ausgeführt. Außerdem sei der Felsen auf keiner Seekarte eingezeichnet gewesen. Allerdings fanden Sachverständige keine einzige Karte der Insel Giglio an Bord der Costa Concordia.

Fakten zur Costa Concordia.

Die Reederei bezeichnete die Havarie als "Tragödie" und distanzierte sich rasch vom Verhalten des Kapitäns, eine Verbeugung durchzuführen. Schettino hingegen meinte, dass solche Manöver von der Schifffahrtsgesellschaft gefördert wurden, um eine weitere Attraktion anzubieten. Zahlreiche Berichte stützen in diesem Fall die Version Schettinos.

So oder so, die Reederei Costa Crociere und die Crew sind mittlerweile aus dem Schneider. Zwei Brückenoffiziere, der Steuermann und der Hotelmanager der Costa Concordia sowie ein Krisenkoordinator der Schifffahrtsgesellschaft einigten sich bereits vor dem Prozess auf Haftstrafen zwischen 20 und 30 Monaten. Auch Schettino wollte diesen Weg einschlagen und schlug 40 Monate Freiheitsstrafe vor. Die Staatsanwaltschaft bezeichnete dieses Angebot als "lächerlich" und lehnte ab.

Unterwasseraufnahmen der Costa Concordia.
Channel 4 News

Auch in anderer Hinsicht konnte sich die Reederei größerer Verantwortung entziehen – oder besser gesagt herauskaufen. Millionen wurden an die Reisenden bzw. Hinterbliebenen der Opfer überwiesen; auch an die italienische Justiz, um einen Prozess zu vermeiden. 85 Millionen Euro werden ausgegeben, um den Meeresboden vor Giglio wiederherzustellen. Und nun fungiert die Reederei als zivilrechtlicher Nebenkläger im Prozess gegen Schettino, auch wenn sie vom Kapitän kaum etwas von dem Schaden, der zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Euro liegen soll, erhalten dürfte. Außerdem muss sie sich hinten anstellen, die Liste der Nebenkläger ist mit 330 Parteien lang. Es sind Überlebende der Havarie, die Region Toskana und mehrere italienische Ministerien, die teilweise Schadenersatz in Millionenhöhe fordern. Allein das Umweltministerium verlangt 222,8 Millionen Euro, die Überlebenden bis zu einer Million Euro pro Person.

Sollte Schettino im Gerichtsgebäude der toskanischen Stadt Grosseto tatsächlich schuldiggesprochen werden, wäre das somit nur der Anfang weiterer Prozesse. Außerdem hat der Kapitän die Möglichkeit, in Berufung zu gehen. Nur von Bord gehen, das kann er diesmal nicht mehr. (Kim Son Hoang, derStandard.at, 10.2.2015)