Die diplomierte Krankenschwester Eszter Barat besucht Engelbert M. (93) stets mit ihrem Laptop. Die für sie relevanten Informationen sehen Heimhilfe und Besuchsdienste auf ihren Smartphones.

Foto: Andy Urban

Im Tageszentrum der Wiener Sozialdienste im zwölften Bezirk wird die Software namens Mocca ebenfalls eingesetzt. Ältere Menschen, die dort zu Besuch kommen, finden den Tagesplan aber in bunter Papierform an der Wand.

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Wien - Acht Uhr früh. Ein junger Mann betritt das schmale Vorzimmer. Der 93-jährige Engelbert M. und seine Lebensgefährtin Adelheid H. haben "Herrn Christian" bereits erwartet. Zwischen beigefarbener Tapete und dunkler Einbaugarderobe schlüpft der Heimhelfer in weiß-blauen Kittel und Hausschuhe - und zückt sein Smartphone. Mit dem Zeigefinger scrollt er durch eine Liste: Anweisungen zur Körperpflege. Jeden einzelnen Schritt hakt er später auf dem Touchscreen ab. Eine Stunde hat er insgesamt Zeit - unter anderem zum Duschen, Ankleiden M.s und für die Begleitung zur Toilette.

Als Herr M.s Betreuung im Dezember 2014 begonnen hat, hatten die Wiener Sozialdienste (WSD) gerade erst seit etwas mehr als einem Monat die gesamte neue Software in Verwendung, an der sich Betreuer Christian nun orientiert. Zunächst waren Dienstpläne mit dem System Mocca (Mobile Case and Care) erstellt worden, inzwischen sind auch die Pflege- und Betreuungsleistungen darin erfasst. "Die Zeit, die bisher für die aufwändige Papierdokumentation, das Einlesen in die Akten und die Recherche vor Ort eingesetzt wurde, kommt nun unseren Klientinnen und Klienten zugute", zeigte sich WSD-Pflegedienstleiterin Anastasia Becker bei der Softwarepräsentation überzeugt.

Volle Stunde ist "ein Luxus"

Zeitknappheit ist in der Pflege aus jeder Perspektive ein Thema - ob für jene, die Hilfe brauchen, oder jene, die sie anbieten. Ganze 60 Minuten für die Körperpflege wie bei Engelbert M. sind "ein Luxus", heißt es aus Betreuerkreisen. Meist sei es eine halbe Stunde.

Das Ausmaß bestimmt der Fonds Soziales Wien (FSW), unter anderem mit Blick auf Alter und Pflegestufe. Dann beauftragt der FSW die Wiener Sozialdienste mit unterschiedlichen Formen der mobilen Pflege: von Heimhilfe über Besuchsdienste bis zur Hauskrankenpflege. Rund 900 Mitarbeiterinnen des WSD - etwa 90 Prozent sind Frauen - arbeiten in der mobilen Alten- und Pflegedienste GmbH. In der Regel wird ein Selbstbehalt für die betreute Person errechnet, den Großteil zahlt die Stadt Wien. Bei sehr geringem Einkommen kann der Selbstbehalt entfallen.

Zwölf Wirbel gebrochen

Heimhelfer Christian verbringt in einer zweiten Funktion Zeit mit Herrn M.: Zweimal pro Woche absolviert er je zwei Stunden Besuchsdienst. Dann marschiert M.s Lebensgefährtin, eine gepflegte 86-Jährige, zur Apotheke, zum Supermarkt oder besucht den Friseur, ohne sich um M. sorgen zu müssen. Adelheid H.s Partner erleidet immer wieder Schwindelanfälle. Als er einmal im Vorzimmer niederstürzte, brach er sich zwölf Wirbel. Seither kommt die mobile Betreuung.

Die To-do-Listen für Heimhilfe und Besuchsdienst erstellt diplomiertes Hauskrankenpflegepersonal - in Herr M.s Fall ist es Eszter Barat. Seit 30 Jahren arbeitet sie als diplomierte Krankenschwester, seit zehn Jahren in der Hauskrankenpflege. Dafür kurvt sie durch den vierten und fünften Bezirk in Wien. Wenn eine Kollegin auf Urlaub oder krank ist, springt sie auch anderswo ein. Barat erledigt die Erstkontakte zu Klienten und fungiert als "Case-Managerin", aber auch Verbandswechsel erledigt sie.

Zwei Kandisin mit Milch

Mit ihrem Laptop nimmt sie persönliche Daten und die Krankengeschichte auf. Anhand dieser Informationen werden Einsatz- und Pflegepläne erstellt, die wiederum auf den Smartphones der weiteren Betreuer aufscheinen. Auch für Details ist Platz: "Es können auch persönliche Wünsche erfasst werden - zum Beispiel: Klientin will zwei Kandisin in den Kaffee mit Milch", sagt Pflegedienstleiterin Becker. "Wenn man jedes Mal aufs Neue nachfragt, sind die Leute genervt." In der Regel gehen wegen der Diensträder bei einer Person unterschiedliche Betreuer ein und aus.

Lust auf ein Schnitzel

"Motivieren, fördern und soziale Kontakte unterstützen", steht in Herrn M.s Fall auf Christians Smartphone. "Alltagsgespräche führen, Karten-, Gesellschaftsspiel anbieten, spielen, vorlesen" ist für Dienstag vorgesehen. Der ehemalige Beamte würde heute gern zum Wirt "auf ein Schnitzel" gehen. Partnerin Adelheid H. winkt ab: "Das ist noch zu anstrengend", meint sie.

Eszter Barat besucht Herrn M. auch nach der Erstaufnahme alle paar Wochen, um die elektronische To-do-Liste für die Betreuer zu aktualisieren. Außerdem sieht sie nach, welche Medikamente besorgt werden müssen. Diese Papierliste steckt neben der Anwesenheitstabelle der Betreuer in einer bei M. verbleibenden Mappe. Solche Ordner seien früher "viel dicker" gewesen, erzählt Barat. Informationen, die das Pflegepersonal den behandelnden Ärzten mitteilen will, müssen aber immer noch auf Papier gebannt werden. Dafür gibt es das "Kommunikations- und Anordnungsformular". Laut WSD wäre die Software Mocca kompatibel mit der Elektronischen Gesundheitsakte.

Mehr Dokumentationsbedarf

Im Tageszentrum der Wiener Sozialdienste im zwölften Bezirk wird Mocca gerade eingeführt. "Der Dokumentationsbedarf nimmt zu", sagt Astrid Gortan, Leiterin der Einrichtung. "Viele müssen beispielsweise an Medikamente erinnert werden." Zahlreiche Senioren der Umgebung kommen für ein Mittagessen, das sie selbst nicht mehr zubereiten könnten. Andere, um "Mensch ärgere Dich nicht" zu spielen, im Chor zu singen oder zu plaudern.

Aber auch etwas anderes steht hoch im Kurs: "WLAN", sagt Gortan. "Wir merken: Internet wird immer stärker nachgefragt." (REPORTAGE: Gudrun Springer, DER STANDARD, 10.2.2015)