Wolf und Husky beim Knuddeln.

Foto: Maria von Usslar/derStandard.at

Die drei Freunde demaskiert.

Foto: maria von usslar/derStandard.at

Beliebtester Selfiepartner auf dem Wiener Rathausplatz.

Foto: Maria von Usslar/derStandard.at

Wulfer braucht keine Vollmondnacht zum Verwandeln.

Foto: Maria von Usslar/derStandard.at

Erotik in der Furry Art.

Zeichnung: Meow/Wikimedia Commons

Bild nicht mehr verfügbar.

Karte, in die sich die Furrys eintragen. So können sie von anderen Mitgliedern der Community aufgespürt werden. Der Ausschnitt zeigt alle registrierten Furrys in Österreich.

furrymap.net

Wulfer träumt vom Abenteuer. Der 27-Jährige wohnt mit seiner Mutter und dem Hund Gizmo in einem Reihenhaus im 23. Wiener Gemeindebezirk. In seinem Zimmer reihen sich Fanartikel von "Zurück in die Zukunft" und Disney-Zeichentrickklassikern – dazwischen etliche Plüschtiere von Wölfen.

Mit seinen Freunden Balto und Mailylion – in ihrer Community sind ihre Menschennamen unwichtig – sitzt Wulfer auf einem roten Sofa und sucht nach einer einfachen Erklärung für das, was ihr größtes Hobby ist: als Kuscheltier durch die Stadt zu streifen, freiwillig, und ohne dafür Geld zu bekommen.

derstandard.at/kopacka&von usslar

Balto, als Furry ein Wolf-Husky-Mischling, hat etwas gefunden. Der 32-Jährige trägt einen schwarzen Rollkragen und sitzt kerzengerade vor dem Tablet. Er liest ein Gedicht aus dem Internet vor und artikuliert dabei jeden einzelnen Buchstaben:

"If the true meaning of furry you wish to understand – You must think in terms of paw and not hand ..."

Tiere mit Menschencharakter

Furrys sind Fans anthropomorpher Tiere, also von Tieren mit menschlichen Zügen, wie Bugs Bunny oder Disneys Robin Hood. Viele Furrys entwickeln ihren eigenen, meist cartoonähnlichen Charakter, mit dem sie sich dauerhaft identifizieren.

Einige, wie Wulfer und Balto, tragen die so entstandene "Fursona" sogar als Kostüm. Die Fangemeinschaft ist in den USA entstanden und benutzt ihr eigenes Fachjargon, darunter viele Wortspiele mit "Fur".

Wulfer trifft beim "Fursuiten" am Rathausplatz einen Artverwandten.

Heute wollen sie auf dem Rathausplatz "Fursuiten" – so wird das bewusste Ausführen der Fursona in der Öffentlichkeit genannt. Dafür hilft ihnen Mailylion ins Kostüm. Er ist als sogenannter Spotter unterwegs, passt auf, dass das Kostüm sitzt, fotografiert und redet mit Schaulustigen.

Furrys ohne Pelz

Mailylion besitzt zwar kein Kostüm, aber eine Fursona mit Avatar und bestimmten Wesenszügen. Für ihn ist der Löwe so etwas wie ein Totem oder Ideal, das er anstrebt: "In diesem Charakter sind diverse Eigenschaften, die ich gern mehr verkörpern würde, was aber in unserer Gesellschaft nicht so gut funktioniert. Teilweise sind das ganz banale Dinge wie schöner, dünner, intelligenter, oder charmanter zu sein."

Was viele nicht wissen: Nur rund ein Drittel der Furrys "suitet" auch. Der Rest bringt sich mit Furry Art wie Zeichnungen, Musik, Tanz oder Videos in die Community ein.

Das Fursuit-Handwerk

Wulfer ist gelernter Landschaftsgärtner. Für sein Hobby hat er sich vieles zusätzlich beibringen müssen. Neben dem Fotografieren, Zeichnen und Filmen kann er jetzt auch das Nähen zu seinen Handfertigkeiten zählen. In den vergangenen fünf Jahren hat Wulfer bereits vier Kostüme angefertigt, sein altes Kinderzimmer wurde zum Atelier. Fast pedantisch sind darin Kästchen und Regale beschriftet und Fellbürsten und Fusselroller aufgereiht.

Wenn man nicht wie Wulfer selbst nähen kann, zahlt man schon bis zu 3.000 Euro für einen guten Suit aus den USA. Dort ist die Community am größten, und es gibt professionelle Kostümbildner, die die Fursona eines Furrys nach dessen Wünschen gestalten.

Mailylion: Den Avatar hat sein Freund und Furry-Artist Imiak angefertigt.
Zeichnung: Matthias Kisler/Imiak

Wulfer und Balto verkleiden sich im Verborgenen. Sie mögen es nicht, wenn jemand den Wolfskörper ohne Kopf oder nur eine lose Pfote sieht: "Entweder bin ich ganz Wolf oder Mensch." Sobald Balto und Wulfer im Kostüm stecken, wirken sie tapsig, verspielt, frech und dreimal so jung. Das Auftreten des Wolfmischlings will einfach nicht zu Baltos hochgestochener Art zu reden passen.

Kuschelfaktor

Aber Tiere reden nicht. Sie tollen lieber mit den Kindern zwischen den Eislaufbahnen auf dem Rathausplatz herum, machen Faxen, lassen sich kraulen und posieren für etliche Selfies. Die Kinder strecken ihre Hände nach den verniedlichten Raubtieren aus – ein Automatismus, der wahrscheinlich mit ihrem weichen Fell zusammenhängt.

Krauleinheit für Balto.
Foto: Maria von Usslar/derStandard.at

So positiv wie die Kinder auf dem Rathausplatz reagiert nicht jeder. Viele sehen Furrys nicht nur als Sonderlinge, sondern beschimpfen sie sogar als Sodomisten oder Pädophile. Dabei spielt Sex im Furry Fandom wahrscheinlich genau so eine große Rolle wie bei anderen Communitys. Die sexuelle Komponente wird Yiff (abgeleitet vom Geräusch, das Polarfüchse von sich geben, wenn sie sich paaren) genannt, und ist eher eine Randerscheinung.

Die Community in Europa

Den drei Burschen geht es jedenfalls um Freundschaft und Spaß. Dass Körperkontakt mit einem Fell leichter fällt, können sie aber bestätigen. Auf Conventions wie der "Eurofurence" gibt es bei "Furpiles" (spontanen Kuschelorgien) oder Kuschelpartys dafür genügend Gelegenheit. Es werden aber auch "Furdances", Workshops, Theatervorführungen und gemeinsame "Walks" angeboten.

Bild nicht mehr verfügbar.

Wulfer bei einer seiner ersten Eurofurences 2010 noch mit seinem ersten selbstgemachten Suit.
Foto: EPA/JENS WOLF

Dort hat er zum ersten Mal erfahren, dass viele Menschen so sind wie er – im vergangenen Jahr waren rund 2.000 Besucher bei der Eurofurence in Berlin.

Schon bevor er sich mit dem Furry-Fandom beschäftigte, gefielen Wulfer die Maskottchen in Disneyland – da war er allerdings mit seinem Faible allein. Irgendwann beschloss er, sich ein eigenes Kostüm zu basteln. Als seine Mutter von seinem neuen Hobby erfuhr, war sie begeistert, was ihr Sohn da erschaffen hatte, und stolz auf seine handwerklichen Fähigkeiten. Seine Fursona findet sie süß.

Eskapismus in die Cartoon-Welt

Wulfer fühlt sich wohl im Pelz: "Ein Wolf kann den ganzen Tag im Wald herumlaufen und machen was er will, muss sich um nichts kümmern. Arbeiten gehen, Geld verdienen, einkaufen, das muss der Wolf alles nicht machen." Außerdem mag Wulfer das Leben, wie es in Cartoons und Kinderfilmen dargestellt wird. Wenn er sich etwa die "Goonies" ansieht, würde er am liebsten auch mit seinen Freunden Höhlen und Piratenschiffe erkunden: "Und so etwas hat man, wenn man einen Suit trägt oder im Furry-Fandom ist, man erlebt was."

In Österreich gibt es 30 bis 40 Furrys mit Suit, schätzen die Burschen. Mit den meisten sind sie auch befreundet. Denn auch das findet man in der Community leichter: sein Rudel. (Raoul Kopacka & Maria von Usslar, derStandard.at, 16.2.2015)