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Die Softpornoästhetik der US-Bekleidungsmarke Abercrombie & Fitch erregt heute kaum mehr die Gemüter.

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Waschbrettbauch-Träger bei der Promotion einer Shop-Eröffnung in Singapur.

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Wer den Schaden hat, braucht bekanntlich für den Spott nicht zu sorgen. Das bekommt derzeit auch eine Marke zu spüren, die in den 1990er-Jahren einen kometenhaften Aufstieg hinlegte. Mike Jeffries machte aus dem verschlafenen US-Label Abercrombie & Fitch eine Kultmarke. Die sexuell aufgeladenen Werbekampagnen mit halbnackten Surferboys trafen damals ein Lebensgefühl.

Erste Anzeichen von Hybris zeigten sich bereits 2006. Jeffries hatte schon immer eine große Klappe. Auf die Frage, ob Abercrombie & Fitch denn Leute ausschließe, meinte er: "absolut." Man wolle die "coolen Kids" als Kunden ansprechen, die gutaussehenden Schnösel mit Waschbrettbäuchen, die gern hemmungslos mit den Riesenlogos auf den Shirts und Kapuzenpullis angeben. Die "Fetten" sollten lieber anderswo einkaufen. Die Einführung der Hosengröße Triple Zero (58 Zentimeter Umfang) sorgte für einen Dauershitstorm, und überhaupt kam die Marke immer wieder wegen Rassismus (in den Geschäften arbeiten ausschließlich Weiße) und menschenunwürdigen Arbeitsstätten in Indien in die Schlagzeilen.

Museale Softpornoästhetik

Zuletzt wirkte der 70-jährige Jeffries, durch plastische Chirurgie vom aussichtslosen Kampf gezeichnet, ewig jung bleiben zu wollen, wie eine Karikatur seiner selbst - und einer Epoche, die keiner mehr cool fand. Die schwarz-weiße Softpornoästhetik der Werbung strahlte den Charme eines Museumsexponats aus. Die Firmenaktie sank in den vergangenen zwei Jahren um mehr als 40 Prozent. Im Vorjahr musste Jeffries endgültig abdanken.

Natürlich ist Abercrombie & Fitch ein Fall von vielen. Trotzdem wirft er grundlegende Fragen auf: Was macht ein Label hip? War der Absturz vorprogrammiert? Gilt ein Naturgesetz, das besagt: Je angesagter eine Marke ist, je besser sie den Zeitgeist trifft, desto mehr hat sie ein Ablaufdatum, weil bereits der nächste Trend vor der Tür steht? Natürlich gibt es offensichtliche Fehler, die Labels machen können. Neben Hybris und Arroganz den Kunden gegenüber, ist es fatal, neue Technologien zu verschlafen. Schwierig auch, wenn Marken oder Social-Media-Tools zu breitenwirksam werden. Eigentlich liest sich die Geschichte von Abercrombie & Fitch wie ein Märchen aus einer fernen Epoche. Sie erinnert an eine gute alte Zeit, als sich Trends tatsächlich über zwei Jahrzehnte halten konnten, als das Image eines Produkts noch so stark war, dass junge Leute mehrere Dekaden lang viel Geld ausgaben, um zu einem auserwählten Club zu gehören.

Inzwischen hat sich das Konsumverhalten grundlegend verändert, die Teens haben nicht nur weniger Geld, sie kaufen auch verstärkt in Geschäften ein, die aktuelle High-Fashion- und Streetwear-Trends schneller aufgreifen und billig kopieren. Der britische Anbieter Topshop etwa stellt jeden Tag neue Produkte auf seine Homepage. Da können kleine Anbieter nicht mithalten.

Die Modewelt steht vor einem Paradoxon: Bei bis zu zwölf Kollektionen, die jährlich auf den Markt geworfen werden, ist die Produktion von "Trends" extrem inflationär geworden. Dauernd gibt es etwas Neues, das schon wieder alt ist, bevor es noch in den Läden steht. Beim verzweifelten Versuch, ständig neue Trends zu kreieren, kannibalisiert sich die Mode zunehmend selbst. Sekundenschnell sind neue Looks über Social Media wie Instagram weltweit abrufbar, sobald die Kleider in den Geschäften sind, kommen sie uns schon alt vor.

Overkill an Bildern

Kein Wunder, dass Jeremy Scott für Moschino eingeführt hat, dass man Teile der neuesten Kollektion direkt nach dem Catwalk online ordern kann. Der Overkill an Bildern fördert nämlich auch das schnelle Kopieren von Billigdiscountern. Wer will noch das Original besitzen, wenn schon längst alle mit Kopien herumlaufen?

Mode muss dauernd Wellen schlagen, um die Käufer bei der Stange zu halten. Trotzdem sind viele angekündigte Tendenzen extrem träge. Seit Jahren wird das Comeback der Schlaghose herbeigeschrieben, sie taucht in aktuellen Kollektionen bei so unterschiedlichen Labels wie dem britischen Unisexmode-Shootingstar J. W. Anderson bis zu Chloé, Tom Ford und Acne Studios auf. Doch kaum sind wir dabei, uns an bequemere, weitere Schnitte zu gewöhnen, torpediert ausgerechnet Hedi Silmane diese Entwicklung und steckt seine Männermodels für Saint Laurant erneut in extrem schmal geschnittenes Beinwerk.

Wir erinnern uns: Slimane verpasste in den Nullerjahren den Männern ihren Skinny Look und schuf damit einen Megatrend. Ist die grassierende Retrosucht schon so weit fortgeschritten, dass die Designer ihre alten Trends alle paar Jahre erneut recyclen? Die Abstände scheinen jedenfalls immer kürzer zu werden, die Revivals jagen sich förmlich. Gerade waren noch die 1990er-Jahre total in, jetzt kommen die 1970er und der Britpop-Appeal der Nullerjahre.

Im Grunde aber stehen schon seit längerem zahlreiche Tendenzen nebeneinander und tun sich schwer, breitenwirksam zu werden. Abgesehen vom Einfluss der Sport- und Funktionskleidung auf die Modewelt, vom Trend zu genderneutraler Mode und von einer generellen Aufbruchsstimmung in der Männermode haben sich wenige der sogenannten Trends als sonderlich innovativ erwiesen.

Liftestylelösungen statt Trends

Das Online-Branchenblatt Business of Fashion fragte jüngst provokant: "Do Fashion Trends Still Exist?" Anne Lise Kjaer, Gründerin einer Trendmanagementberatungsagentur, meint etwa, man gehe nicht mehr in ein Geschäft, um ein Einzelteil zu kaufen, man orientiere sich an Instagram und Blogs: "Wir entfernen uns davon, Trends zu folgen, wir suchen nach Liftestylelösungen".

Wahrscheinlich sind auch deswegen Celebritys so wichtig für die Modebranche, sie führen tagtäglich jenen Lebensstil vor, den wir konsumieren wollen. "Es gibt nicht mehr ein Produkt des Jahres, das wir überall verkaufen", erklärt Pierre-François Le Louët, Chef einer französischen Trendforschungsagentur. "Wichtiger ist die Identität der Marke, wie man sich von seinen Konkurrenten unterscheidet. Trends sind nur Instrumente, um Kunden davon zu überzeugen, dass ihre Marke am Puls der Zeit ist".

Abercrombie & Fitch ist es zuletzt nicht mehr gelungen, dieses Signal an die Kunden zu senden - obwohl die typischen Abercrombie-Waschbrettbäuche durch ein spornosexuelles Männerbild gerade wieder in sind. Aber wer weiß, wie lange sich dieser Sekundentrend hält. (Karin Cerny, Rondo, DER STANDARD, 13.2.2015)