Wien – In vielen EU-Ländern dient die österreichische Lehrlingspolitik als leuchtendes Vorbild. In Österreich selbst gerät sie jedoch zusehends in die Kritik. Seit vier Jahren bricht die Zahl der Lehrlinge überproportional ein. 2013 waren es etwa um 5.000 weniger als im Jahr davor. 33.600 Betriebe bildeten ihren eigenen Nachwuchs aus und damit so wenig wie nie zuvor.

Demografische Veränderungen spielen ebenso herein wie die Folgen der Krise. Der Trend zu höheren Schulen trübt das Image der Lehre. Zudem schrecken Kosten und Aufwand der Ausbildung die Unternehmen ab. Die Suche nach Lösungen lenkt den Blick jedoch auch auf hausgemachte Fehler.

Eine erhebliche Schwachstelle orten Experten dabei vor allem in Österreichs Lehrlingsförderung, die aus den Mitteln des Insolvenzentgeltfonds finanziert wird. "Sie hat weder quantitativ noch qualitativ etwas gebracht", sagt Edith Kugi-Mazza, die den Jugend- und Lehrlingsschutz der Arbeiterkammer verantwortet. 80 Prozent des Geldes gingen für Basisförderung drauf, die an keine Qualitätskriterien gebunden ist. Ob Ausbildner Lehrlinge in Kurse schicken oder anderwertig fördern, ist einerlei.

Die Förderungen gehörten überdacht und das Geld sinnvoller eingesetzt, fordert Kugi-Mazza. Helmut Gotthartsleitner, Bundesjugendsekretär in der Gewerkschaft GPA-djp, schlägt in dieselbe Kerbe: Auch er vermisst jegliche qualitativen Maßstäbe. Derzeit fließt seiner Erfahrung nach vor allem viel Geld in die Administration.

Aus der Branche der Gläubigerschützer vom KSV 1870 kommt von unerwarteter Seite Verstärkung. Hans-Georg Kantner, Leiter der Insolvenzabteilung, plädiert gleich für die völlige Abschaffung der Lehrlingsförderung im Dienste geringerer Lohnnebenkosten. "Sie kostet viel, bewirkt aber nichts."

Kantner ist überzeugt, dass aufgrund der Subvention kein einziger Jugendlicher mehr eine Stelle erhält: Die Lehrherren unterstützten sich damit de facto selbst.

2014 kamen den Betrieben für ihre Lehrlinge 166 Millionen Euro an Förderungen zugute. Sie stammen aus dem mit 490 Millionen ausgestatteten Insolvenzentgeltfonds, der Angestellten im Falle einer Pleite ihres Arbeitgebers die Gehälter sichert. Der Topf wird über 0,7 Prozent der Lohnsumme gespeist. Wie viel die Unternehmer für einzelne Lehrlinge erhalten, variiert. Werden alle Möglichkeiten ausgeschöpft, sind es in der Regel "vorsichtig geschätzt" zwischen 3500 und 4000 Euro, rechnet Gotthartsleitner vor. In jedem Fall sind es drei Lehrlingsentschädigungen im ersten Jahr, zwei im zweiten und je eine im dritten wie vierten. Für Weiterbildung gibt es zusätzlich tausend Euro.

Viele Lehrabbrecher

Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl versprach bei der Einführung der Förderung 3000 zusätzliche Lehrstellen, erinnert sich der Gewerkschafter, "mittlerweile sind es 3000 weniger". Mehr als 14 Prozent der Jugendlichen brechen die Lehre ab. Ein Fünftel fällt beim ersten Antritt zur Abschlussprüfung durch, fünf Prozent treten gar nicht erst an, zitiert Kugi-Mazza Statistiken der WKÖ.

Administriert werden die Subventionen von den Lehrlingsstellen der Wirtschaftskammern der Bundesländer, die sich dafür der ihnen gehörenden Inhouse GmbH bedienen. Was nicht nur Kantner, sondern auch anderen Sozialpartnern ein Dorn im Auge ist.

Für Alfred Freundlinger, Experte für Bildungspolitik der WKÖ, ist die Kritik an der Lehrlingsförderung vor allem politisch motiviert. Er vergleicht die Subvention mit der Familienbeihilfe: Bei beiden gehe es um einen Solidaritätsausgleich - womit eine alte Forderung der Arbeitnehmer erfüllt worden sei. Dass weit mehr als 100 Millionen Euro an keine Qualitätsanforderungen in der Lehrausbildung geknüpft sind, hält er für nicht reformbedürftig: "Auch bei der Familienbeihilfe fragt keiner, ob die Kinder Hausübungen machen." Er sieht zudem keine Kriterien, die sich dafür sinnvoll anwenden ließen. Und abgesehen davon stimme es nicht, dass mit der Förderung hoher administrativer Aufwand verbunden ist: "Die Abwicklungskosten machen nur drei, vier Prozent der Gesamtkosten aus."

Gotthartsleitner schlägt als Alternative eine Fachkräftemilliarde vor, verwaltet von Arbeitnehmern und -gebern, für die alle Betriebe ein Prozent der Bruttolohnsumme einzahlen. Geld erhält, wer bei der Lehre Qualitätsvorgaben einhält. Freundlinger nennt das einen Anschlag auf die Betriebe. "Kosten für überbetriebliche Ausbildung werden damit auf sie abgewälzt." (Verena Kainrath, DER STANDARD, 11.2.2015)