Wien – Österreich gehört zu jenen Mitgliedsländern der EU, die das Europarecht am wenigsten ernst nehmen. Das geht aus dem 31. Jahresbericht der EU-Kommission über die Kontrolle der Anwendung des EU-Rechts hervor. Österreich belegt in der Liste der Vertragsverletzungsverfahren wegen verspäteter Umsetzung Rang sieben von 28 Staaten. Schlechter sind nur mehr Zypern auf dem ersten Platz, Slowenien, Italien, Belgien, Polen und Rumänien.

Dieser im Oktober des Vorjahres veröffentlichte Bericht - Aktenzahl COM(2014) 612 final - "verfolgt, ob die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen nach dem EU-Recht nachkommen, d. h. EU-Richtlinien vollständig und korrekt umsetzen und das gesamte EU-Recht ordnungsgemäß anwenden.Zu diesem Zweck kann die Kommission von Amts wegen förmlich gegen die Umsetzung von EU-Recht durch einen Mitgliedstaat vorgehen, aber auch aufgrund von Petitionen aus dem Europäischen Parlament oder von Beschwerden von Bürgern, Unternehmen, NRO oder anderen Quellen, in denen mögliche Verstöße gegen EU-Recht wie seine unkorrekte Umsetzung oder Anwendung beanstandet werden, tätig werden."

Ureigenstes Grünes Anliegen

Die österreichischen Grünen greifen das Thema auf, weil es eines ihrer ureigensten Anliegen betrifft. "Mit Abstand die meisten Vertragsverletzungsverfahren wegen verspäteter Umsetzung gab es in Österreich im Umweltbereich", erklärt Marlies Mayer vom Grünen Klub im Parlament im Gespräch mit derStandard.at.

Die Umweltjuristin sieht ein gängiges Muster in den Behördenverfahren, in denen oft kleine Bürgerinitiativen unter Berufung auf Europarecht umweltbelastende Projekte verhindern wollen: "Österreich setzt viel bürokratischen Aufwand in die Abwehr von Bürgeranliegen, das wäre auch einmal ein Ansatz für Bürokratievermeidung."

Geheimniskrämerei der Republik Österreich

Im Übrigen wisse niemand, in welchen EU-Rechtsmaterien Österreich säumig ist: Zwar werde das Parlament über Mahnschreiben der EU informiert, nicht aber über die Antworten der Regierung. Diese habe überdies die Behandlung dieser Themen als generell vertraulich bezeichnet – also dem Amtsgeheimnis unterworfen. Im Regelfall geht es ja um wirtschaftliche Interessen, die möglicherweise schutzwürdig sind.

Was die Republik den EU-Behörden antwortet, bleibt (auf Wunsch Österreichs) deren Geheimnis. Da kämen dann EU-Beamte nach Österreich, um die Rechtsfragen zu klären. Das Ergebnis aber unterliegt dem Amtsgeheimnis, das Verfahren sowieso.

Umweltjuristin Mayer: "Das ist schon irgendwie absurd: Die EU setzt auf die Bürger, Österreich setzt auf die Bürokratie." Die Beschwerdeführer (oft Bürgerinitiativen) bekommen nämlich entgegen den Intentionen der EU keine Rückmeldung, was aus ihren Beschwerden geworden ist, obwohl diese die Republik oft in argen Erklärungsnotstand bringen.

Geringe Umsetzungsdisziplin

Die Grünen fordern dazu einen jährlichen Bericht, zunächst mit einer Anfrage des Abgeordneten Werner Kogler an Kanzleramtsminister Josef Ostermayer (SPÖ): Kogler rügt die geringe Umsetzungsdisziplin der Republik und fragt, wie viele EU-Pilotverfahren, wie viele Vertragsverletzungsverfahren und wie viele Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof derzeit anhängig sind. Zudem will er einen genauen Überblick, worum es in den einzelnen Verfahren geht. Und er will ein Gesamtbild, ob die Zahl der Verfahren, die die Republik mit ihrem nachlässigen Umgang mit Europarecht auslöst, in den letzten Jahren zu- oder abgenommen hat.

Der lockere Umgang mit EU-Bestimmungen hat für die Republik auch konkrete Nachteile: In zumindest einem Fall hat die EU-Kommission dem Europäischen Gerichtshof sogar vorgeschlagen, ein tägliches Zwangsgeld als Strafe gegen Österreich zu verhängen, um die Umsetzung von EU-Richtlinien zu erzwingen.

Die vermuteten (und nicht in allen Fällen abschließend rechtlich geklärten) Rechtsverstöße Österreichs betreffen nicht nur Umweltrecht. Laut dem EU-Bericht geht es etwa auch um Diskriminierungsverbote bei Mautgebühren. (Conrad Seidl, derStandard.at, 10.2.2015)