Bild nicht mehr verfügbar.

Abendsonne im kalifornischen Disneyland: Von hier ausgehend kam es in den USA zu einem Masern-Ausbruch, der auf 14 Bundesstaaten übergriff und eine politische Debatte auf höchster Ebene auslöste.

Foto: AP/Hong

Es war Hillary Clinton, die sich am prägnantesten um Klartext bemühte. "Die Wissenschaft lässt keine Zweifel: Die Erde ist rund, der Himmel blau, und Impfungen tun ihre Wirkung. Lasst uns unsere Kinder beschützen", meldete sich die Außenministerin a. D. und Präsidentschaftskandidatin in spe via Twitter zu Wort. "Großmütter wissen es am besten", nannte sie ihren Hashtag, die Themenzeile mit dem vorangestellten Doppelkreuz, was einmal mehr vermuten lässt, dass ihre im September geborene Enkeltochter Charlotte in eventuellen Wahlkämpfen noch einen prominenten Part spielen dürfte.

Amerika diskutiert über Masernimpfungen, so intensiv wie lange nicht über ein medizinisches Thema. Es begann in der Westküstensparte von Disneyland, in einem kalifornischen Vergnügungspark, dessen Werbezeile behauptet, man befinde sich hier am glücklichsten Ort des Planeten. Dort nahm eine Ansteckungsserie ihren Lauf, die mittlerweile auf 14 Bundesstaaten übergegriffen und zu über 100 bekannten Krankheitsfällen geführt hat.

Wovon dagegen kaum jemand Notiz nimmt, ist ein noch heftigerer Masernausbruch in Ohio, wo ungefähr im selben Zeitraum 383 Menschen an Masern erkrankten. Praktisch ausnahmslos gehören sie der strengreligiösen Glaubensgemeinschaft der Amish an, infiziert hatten sie sich bei Missionaren, die von den Philippinen zurückgekehrt waren. Da die Amish in geschlossenen Gemeinden leben und ihre Kinder auf eigene Schulen schicken, hält sich die Aufregung über diese Fälle in Grenzen. Ganz anders Disneyland: Masern im dichten Gedränge im Zeichen der Mickey Mouse, die potenziellen Folgen schwer einzuschätzen - so etwas lässt die Nerven blankliegen.

Angst vor Autismus

Viele Amerikaner lassen ihre Kinder nicht impfen, sehr religiöse Menschen ebenso wie alternativ-gesundheitsbewusst lebende Westküstenbewohner, die Angst vor Nebenwirkungen haben. Bis heute steht die These im Raum, Masernimpfungen könnten Autismus auslösen, obwohl Experten sie für Unfug erklären. 1998 hat das Medizinerjournal Lancet eine Studie des Briten Andrew Wakefield veröffentlicht, die einen Zusammenhang zwischen Autismus und dem Kombinationsimpfstoff gegen Mumps, Masern und Röteln herstellte. 2010 zog die Zeitschrift die Analyse zurück, weil sich herausstellte, dass der Arzt Forschungsergebnisse gefälscht hatte. Was nichts daran ändert, dass sich mancher Politiker noch immer auf Wakefield beruft.

Er ist ohnehin ausgesprochen politisch, der Streit um Pro und Kontra staatlicher Impfprogramme. Links gegen rechts, Wissenschaft gegen Religion, die Autorität der Behörden gegen private Zweifel: Wer will, kann - oft allzu simpel - die verschiedensten Kulturkonflikte daraus ableiten. Und viele tun es auch.

Gouverneur gegen Zwang

Chris Christie etwa, der schwergewichtige Gouverneur von New Jersey, plädiert für eine "Balance" in der Diskussion um Schutzimpfungen. Eltern, die an ein Bindeglied zwischen Impfstoff und Autismus glaubten, hatte er schon vor Jahren erklärt, gebühre sehr wohl "eine Stimme in diesem Diskurs". Rand Paul, einst Augenarzt, heute Senator, stellt seine libertären Überzeugungen heraus, wenn er von der unbeschränkten Entscheidungsfreiheit des Einzelnen spricht. Wer seinen Nachwuchs nicht immunisieren lassen wolle, den dürfe man nicht dazu zwingen, "Kinder gehören schließlich nicht dem Staat".

Politisch brisant wird es, weil sowohl Christie als auch Paul mit dem Gedanken spielen, 2016 für die Republikaner ins Rennen ums Weiße Haus zu gehen. Kein Wunder, dass sich auch Barack Obama einschaltet. "Wir haben das ein ums andere Mal studiert", sagt der US-Präsident. "Es gibt jeden Grund, sich impfen zu lassen. Und keinen, es nicht zu tun."

Übrigens beschränkt sich das Problem nicht nur auf die USA. In Berlin wurden allein im Jänner 254 neue Masernfälle gemeldet. 90 Prozent der Patienten gaben an, nicht geimpft gewesen zu sein. (Frank Herrmann, DER STANDARD, 11.2.2015)