Die Seestadt Aspern als Wegweiser für die Zukunft des Wohnens? Zumindest in manchen Punkten, sagt die Forscherin Tania Berger.

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Krems/Wien - Im Jahr 2025 werden erstmals mehr als neun Millionen Menschen in Österreich leben. In Wien, dem Bundesland mit den größten Zuwächsen, werden es in 15 Jahren 2,03 Millionen sein. So lauten die Prognosen der Statistik Austria. Wohnbauprojekte wie die Seestadt Aspern in Wien-Donaustadt und das neue Nordbahnviertel in Wien-Leopoldstadt sollen vorsorgen: Auf dem ehemaligen Flugfeld und dem innerstädtischen Entwicklungsareal entstehen bis 2030 Wohnungen für 30.000 Menschen. "Die Stadterweiterung wie auch die Nahverdichtung werden wohl beide gebraucht", sagt Tania Berger.

Berger baut derzeit an der Donau-Uni Krems den Forschungsbereich "Social Housing" auf. Im internationalen Sprachgebrauch steht "Social Housing" für den "sozialen Wohnbau". "Wir verwenden den Begriff eher als Chiffre für die Beachtung sozialer Belange im Bauen", sagt Berger. Schon aufgrund der Ansiedlung des Bereiches am Department für Migration und Globalisierung stehen bei Bergers Studien die Bedürfnisse von Einkommensschwachen und Menschen mit Migrationshintergrund im Mittelpunkt. Projekte wie die Seestadt Aspern und das Nordbahnviertel verkörpern - zumindest in einigen Punkten - jene Art von Wohnen, das die gelernte Architektin Berger als richtungsweisend für die Zukunft ansieht.

Künftige Bewohner haben in "Baugruppen" ein Mitspracherecht bei der Gestaltung ihres späteren Hauses, klassische Wohnungen werden um Gemeinschaftsräume wie eine Küche oder Spielräume erweitert sowie Räume zur gemeinschaftlichen Kinderbetreuung: Bauliche Möglichkeiten für Kommunikation zu bieten ist ein Weg, Wohnen sozialer zu gestalten.

Bedarf an günstigem Wohnen

Nur: Das soziale Wohnen in der Seestadt oder im Nordbahnviertel hat seinen Preis. "Diese Projekte sprechen den Mittelstand an", sagt Berger. Ziel müsse es aber sein, "auch im Bauen eine inklusive Gesellschaft zu bilden, die nicht gewissen Gruppen diktiert, wo sie wohnen müssen - weil sie es sich woanders nicht leisten können".

Wien und Gesamtösterreich wachsen vor allem aufgrund von Zuwanderung. Der Mangel an günstigem Wohnraum "ist für Wien in den nächsten Jahrzehnten die große Herausforderung", sagt Berger. "Bis 2030 wird Wien um die Größe von Graz wachsen. Das erzeugt einen enormen Druck auf die Neubautätigkeit - und wirft die Frage auf, wie die Stadt weiterwachsen will und soll." Zu bedenken ist dabei, dass "die Wohnbauförderung - auch wenn sie sich jahrzehntelang bewährt hat und nicht weiter ausgehöhlt werden sollte - eine Mittelstandsförderung ist". Sozial Schwache sind beim Wohnen vor allem auf den Altbestand und Privatmietbereich angewiesen. Studien hätten gezeigt, dass etwa in Niederösterreich Wohnbaugenossenschaften für Einkommensschwache "vielfach nicht mehr leistbar sind".

In einem anderen Projekt erhoben Berger und Kollegen in einem Teil Wiens die Möglichkeiten, den Wohnraum im Winter heizen zu können - "mit ernüchterndem Ergebnis". Betroffen sind dabei häufig Menschen mit Migrationshintergrund. Auch in Krems konnten die Forscher Fälle von Energiearmut dokumentieren - zur Überraschung der dortigen Lokalpolitik.

Wie der Wohnbau "eine inklusivere Gesellschaft" fördern könnte, ist für die Forschung schwer zu beantworten. Berger sieht vor allem jene in der Pflicht, die Finanzierungsmodelle für größere Wohnbauprojekte schaffen: Genossenschaften, Politiker und die Verwaltung mit ihren Vorgaben.

Am Ende dieser Handlungskette können auch die Architekten zum sozialeren Wohnen beitragen. Etwa über die Planung flexibler Grundrisse mit verschiebbaren Innenwänden. Diese altbekannte Forderung stößt nur immer wieder an technische und finanzielle Grenzen. Letztendlich herrscht das Gesetz des Marktes: Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Sind vor allem kleinere, leistbare Wohnungen gefragt, ist eine gewisse Raumaufteilung schnell vorgeschrieben. Ein Dilemma.

So hat sich ein anderer Ansatz fürs Erste bewährt: Um ein gutes Nachbarschaftsklima zu ermöglichen, kommen vermehrt Vermittler zum Einsatz. In Wien gibt es die "Wohnpartner" als Anlaufstelle für Nachbarschaftsprobleme im Gemeindebau. In Vorarlberg berücksichtigt die Wohnbauförderung derartige Servicestellen. Für Berger ist das ein erster Schritt zum sozialeren Wohnen. (Lena Yadlapalli, DER STANDARD, 11.2.2015)