"Wenn ihr diesen Brief bekommt, heißt das, dass ich noch immer eingesperrt bin, aber meine Mitgefangenen freigelassen wurden", schrieb Kayla Mueller. Es ist ein Satz, an dem sich in den USA heftige Debatten entzünden. Die 26-Jährige aus Arizona, sie wird betrauert, gefeiert als Modellamerikanerin, in deren Biografie das Land seine Ideale erkennt, den Wunsch, die Welt zu verbessern.
Am College engagierte sich Kayla Mueller in einer Initiative, mit der heilige Stätten der Hopi-Indianer geschützt werden sollten. Nach dem Studium, 2009, ging sie nach Indien, später nach Israel und Palästina, bevor sie sich in der Türkei um Flüchtlinge des syrischen Bürgerkriegs kümmerte. Am 3. August 2013 nahm ein syrischer Freund Kayla mit nach Aleppo. Tags darauf wurden beide entführt. Während der Syrer irgendwann auf freien Fuß gesetzt wurde, verschwand die Amerikanerin in einem Geiselgefängnis.
Sie werde gut behandelt und sie habe noch jede Menge Kampfgeist, schrieb Kayla Mueller nach Hause, auf ein Blatt Papier, das sie freigelassenen Leidensgenossinnen mitgab. Es sind Zeilen, die eine Welle höchsten Respekts auslösen. Zugleich befeuert der Brief eine Debatte, die in den USA heftig geführt wird: Warum sterben Amerikaner in Geiselhaft, während Europäer oft freikommen? Ist es richtig, dass Washington keine Verhandlungen führt, während man in Paris, Rom oder Kopenhagen mit Entführern auch dann redet, wenn sie dem "Islamischen Staat" angehören? Geht das Prinzip über ein Menschenleben?
Die prägnanteste Stimme ist die von Diane Foley. Ihr Sohn, der Reporter James Foley, war im August die erste US-Geisel, die von IS-Kämpfern enthauptet wurde. Ihm folgten Steven Sotloff und Peter Kassig, ein Journalist und ein Nothelfer. Im Laufe der Zeit habe es viele Gelegenheiten gegeben, über James' Freilassung zu verhandeln, meint Diane Foley – "aber nichts wurde getan, um unsere jungen Amerikaner zu retten".
Warnung vor eigener Zahlung
Sotloffs Eltern bekamen im Mai, drei Monate vor dem Mord an ihrem Sohn, von Experten des Weißen Hauses zu hören, sie müssten mit einem Strafverfahren rechnen, falls sie Entführern auf eigene Faust Lösegeld zahlten.
Folgt man einem Dossier der "New York Times", dann saßen noch mindestens 15 andere Geiseln mit Foley, Sotloff und Kassig in IS-Kerkern. Die meisten waren Europäer, die meisten sind zurück in ihren Heimatländern. Der Däne Daniel Rye Ottosen etwa, monatelang mit Kassig eingesperrt, erlangte seine Freiheit wieder, nachdem 3,5 Millionen Euro geflossen waren. Seine Familie hatte das Geld gesammelt, das dänische Kabinett die Übergabe arrangiert.
Konfrontiert mit bohrenden Fragen, hat Barack Obama eine Überprüfung des Krisenmanagements angeordnet. An dem seit dem 11. September 2001 geltenden Grundsatz, mit radikalislamischen Entführern nicht zu verhandeln, scheint er aber nicht rütteln zu wollen. Die Politik sei hart, sagte er im Interview mit Buzzfeed. "Aber sobald wir damit anfangen, finanzieren wir nicht nur das Abschlachten unschuldiger Menschen, sondern machen aus Amerikanern noch größere Ziele für künftige Entführungen."
Um den Kampf gegen die IS militärisch voranzutreiben, will sich Obama alle Optionen offenhalten. Der US-Präsident hat den Kongress am Mittwoch aufgefordert, ein Gesetz zu verabschieden, mit dem erstmals explizit der Militäreinsatz gegen die Gruppe erlaubt werden soll. Auch der Einsatz von Bodentruppen soll darin grundsätzlich genehmigt werden. Das Gesetz soll die Genehmigung für den Irakkrieg 2002 ablösen, die bisher Grundlage des Einsatzes ist. Der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, hat Zweifel an dem Vorschlag geäußert. (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, 12.2.2015)