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Regisseur Paul Thomas Anderson und Darsteller Joaquin Phoenix.

Foto: AP

Wien - Der Aufbruchsgeist der 1960er-Jahre ist in Paul Thomas Andersons Film "Inherent Vice" bereits am Verblassen. Die zwanglosen Zonen der Gegenkultur werden von Grundstücksspekulanten erobert. Larry "Doc" Sportello (Joaquin Phoenix), ein bekiffter Privatdetektiv, ist einer der letzten aufrechten Vertreter der Hippie-Lebensart. Nun soll er einen verworrenen Fall rund um einen Immobilienmagnaten aufklären, der ihn mitten hinein in diese schrille Phase des Übergangs führt.

Mit "Inherent Vice" hat Anderson, einer der gefeiertsten US-Regisseure der Gegenwart, einen Roman von Thomas Pynchon ganz in dessen Tonfall verfilmt. Es ist überhaupt die erste Adaption eines Buches vom großen Geheimniskrämer der US-Literatur - ein ungemein atmosphärischer, oft komischer Film, der viel mit den vertrackten Films noirs der New-Hollywood-Ära gemeinsam hat. Anderson hat einen formidablen Cast zusammengestellt (u. a. Josh Brolin, Katherine Waterstone, Benicio del Toro), dessen Mitglieder Docs lakonisch-surrealen Weg durchs Ende einer Epoche säumen.

STANDARD: Wie oft haben Sie "Inherent Vice" eigentlich gelesen?

Anderson: Von der ersten bis zur letzten Seite? Wohl acht-, neunmal. Ich kenne dieses Buch richtig gut! Im Ernst, ich bin ein Riesenfan von Pynchon - ein neues Buch von ihm ist für mich ein Grund zum Feiern.

STANDARD: Sie überlegten bereits, Pynchons "Vineland" zu verfilmen. Was gab nun den Ausschlag?

Anderson: "Inherent Vice" ist zugänglicher, und es hat einen zerstreuten Helden, den ich wirklich sehr mag. Es war auch gut, das damals allerneueste Buch zu verwenden. Pynchon schreibt seit den 1960ern, und er ist immer noch unglaublich wach und neugierig.

STANDARD: Wie weit war er selbst eingebunden? Es heißt, sie hätten E-Mail-Kontakt gehabt.

Anderson: Es gab einen französischen Journalisten, der sogar behauptet hat, Pynchon wäre am Set gewesen! Ich kenne Pynchon wirklich nicht persönlich. Aber seine Bücher sind so paranoid: Jemand wie er würde doch nie via E-Mail kommunizieren! In Wahrheit gibt es auch kein großes Mysterium um ihn, selbst wenn das alle beschäftigt. Man kennt die Gründe, warum er die Öffentlichkeit scheut.

STANDARD: Film wie Buch sind ein heiterer Abgesang auf die Hippie-Ära. Was verbinden Sie persönlich mit dieser Zeit?

Anderson: Als ich ein Kind war, habe ich all die Geschichten meiner Eltern über Hippies gehört. Irgendwann habe ich nur noch die Ohren eingerollt, mir wurde richtig übel vor Langeweile. Aber das war kurzsichtig. Denn man muss verstehen - und Pynchons Buch hilft einem dabei -, wie einzigartig der Verlust dieser Generation war: Sie hatten das Gefühl, dass sie es in der Hand hatten - und dabei versemmelt haben. Dass sie die Chance hatten, die Welt zu ändern, verfolgt sie. Egal, ob es daran lag, dass immer weniger mitmachen wollten oder dass sich die Drogen verändert haben: Der Spuk ist immer noch zu spüren.

Katherine Waterston und Joaquin Phoenix in "Inherent Vice".
Foto: Warner

STANDARD: Hat man diese Utopie nicht auch später idealisiert?

Anderson: Pynchon ist gewiss kein Nostalgiker. Er ist zu zynisch, zu nüchtern. Er setzt sich keine rosarote Brille auf. Sein Blick auf diese Zeit ist aufrichtig und mikroskopisch - er sieht Möglichkeiten, die nicht realisiert, nicht genug geschätzt wurden.

STANDARD: Der Film trifft diesen Tonfall sehr präzise. Es ist kein Retrofilm, er scheint in der Ära zu Hause. Wie gingen Sie dafür vor?

Anderson: Ich hatte kein übergeordnetes Konzept. Ich wollte reduziert arbeiten und so viel wie möglich in so wenigen Einstellungen wie möglich erzählen. Wohl auch, weil es viel Dialog gab.

STANDARD: Man fühlt sich an Filme von Robert Altman erinnert - nur dass die Schauplätze ein wenig greller wirken. Hatten Sie filmische Orientierungspunkte?

Anderson: Robert Elswit, mein Kameramann, und ich haben - etwa mit unterschiedlichem Filmmaterial - vieles ausprobiert, und daraus entsteht dann meist auch etwas, obwohl wir Etliches auch gleich wieder verwerfen. Oft versucht man ein Bild zu imitieren, bis es richtig aussieht. Speziell bei dieser Periode ging es auch darum, etwas Akkurates zu finden, das zugleich vollkommen außerirdisch wirkt. Der Stil dieser Zeit ist so bunt zusammengewürfelt, dass vieles "falsch" aussieht. Wir mussten uns anstrengen, die Wirkung einzudämmen, die Ablenkung wäre zu groß gewesen. Wir haben ein wenig geschwindelt.

STANDARD: Wie sind Sie damit umgegangen, dass der Plot einigermaßen unverständlich ist?

Anderson: Man muss das Publikum dazu bringen, den Film zu genießen, ohne dass es ständig nach dem Clou des Ganzen sucht. Das ist der Job. Ich persönlich kann Plots von Filmen ohnehin nie richtig folgen. Ich erinnere mich an die Namen nicht, verliere mich in Nebensächlichkeiten.

STANDARD: Für Kifferfilme gilt das ganz besonders.

Anderson: Das stimmt, also muss man die Welt mit den Augen eines Protagonisten sehen, der selbst ständig versucht, sich einen Reim auf alles zu machen. Doc hält sich am Tisch fest - alles andere wird von selbst folgen.

STANDARD: "Inherent Vice" ist Ihre erste Komödie seit "Punch-Drunk Love". Wie wichtig ist Komik?

Anderson: Pynchons Humor ist von der Sorte, die mich echt zum Lachen bringt. Im Buch gibt es etwa eine schöne Beschreibung des L. A. P. D. an einem Tatort. Die Cops hüpfen in den Pool, essen Hotdogs und spielen Pingpong. Das hat mich sehr an die Filme der Zucker-Brüder erinnert, an die Serie "Police Squad / Die nackte Pistole", in der die Polizisten ständig vollkommen unpassende Dinge tun. Das Lustige ist, dass es eigentlich vollkommen dem gängigen Bild des L. A. P. D. entspricht. Es ist nicht nur der Versuch, albern zu sein: Das L. A. P. D. hat einen wirklich schlechten Ruf. Ab Freitag (INTERVIEW: Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 12.2.2015)