Bei der Umsetzung von Reformen dürfe einzig und allein "der Wille des Volkes" entscheidend sein. Seine Regierung fühle sich nur an diesen Maßstab gebunden, nicht aber an Vorgaben "von außen" wie durch die "Troika" von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds. Allerdings wäre er bereit, die Umsetzung eines Zehnpunkteplans seines Finanzministers Yiannis Varoufakis von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) laufend überprüfen zu lassen.
So tönte der neue griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras am Mittwoch nach einem Gespräch mit OECD-Generalsekretär Angel Gurria in Athen, nur wenige Stunden bevor die 19 Finanzminister der Eurozone am Abend in Brüssel sich zu einem Sondertreffen zusammenfanden. Einziger Tagesordnungspunkt: die Präsentation der griechischen Regierungspläne und der Vorstellungen, wie Athen mit den Verpflichtungen in dem Ende Februar auslaufenden zweiten Hilfspaket der Geldgeber der Troika umzugehen gedenke. Am Ende konnte man sich auf keine gemeinsame Erklärung einigen, am Montag wird weiterverhandelt.
Konstruktiver Varoufakis
Varoufakis hatte im Vorfeld – zumindest öffentlich – betont, dass er die Fortführung des "Spardiktats" keinesfalls akzeptieren werde. Er zeigte sich in Brüssel aber "sehr konstruktiv", wie Teilnehmer berichteten. Er sei gesprächsbereit für Alternativlösungen. Bereits als er im Lex-Gebäude vis-à-vis der EU-Kommission eintraf, bestätigten mit den Verhandlungen vertraute Experten, dass sich auf Seite der Syriza-Regierung im Hintergrund eine deutliche Haltungsänderung abzeichne.
"Die Regierung wird nicht mehr auf einem Schuldenschnitt bestehen", sagte ein Verhandler dem STANDARD. Vielmehr werde man das Augenmerk darauf legen, welche Maßnahmen zur Abfederung der sozialen Härten in der Bevölkerung Tsipras in die Wege leiten kann, ohne damit das Hilfsprogramm und die Verpflichtungen durch die Geldgeber im Ganzen infrage zu stellen. Tatsächlich erwähnt der griechische Premier die Forderung nach einem umfassenden Schuldenerlass seit Tagen nicht mehr. Varoufakis schlug nur noch eine Verlängerung laufender Kredite und Nachlässe bei den Zinssätzen vor.
Lösung bis nächste Woche
Das wären keine unüberwindbaren Hindernisse. Selbst der eher zu den Hardlinern der Budgetdisziplin zählende Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem zeigte sich überzeugt, dass es bis nächste Woche eine Lösung geben könnte. Das gehe aber nur "Schritt für Schritt" und nicht gleich im ersten Anlauf. In einer gemeinsamen Erklärung der Eurogruppe sollte die Rede sein von einer "Modifikation" der bisherigen Reformauflagen im Gegenzug zur Auszahlung ausstehender Hilfskredite von sieben Milliarden Euro. Das würde aber bedeuten, dass Athen selber um eine Fortsetzung des Programms bitten würde, anstatt es abzulehnen.
Am Mittwoch jedoch kam es in Brüssel noch zu keiner Einigung: "Es gibt Fortschritte, aber nicht genug um zu einer gemeinsamen Erklärung zu kommen", so Dijsselbloem bei einer Pressekonferenz nach dem Treffen. Man wolle beim Eurogruppentreffen am Montag weiter verhandeln.
Griechenland drückt dem Vernehmen nach auf die Bremse. Varoufakis zog seine Zustimmung zu einer gemeinsamen Erklärung der Eurogruppe zurück, nachdem Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble schon das Treffen verlassen hatte, hieß es am Rande der Sitzung laut Austria Presse Agentur in Brüssel aus EU-Kreisen.
Deutschland: Kein Schuldenschnitt
Seitens der deutschen Regierung hieß es davor, ein Schuldenschnitt sei auszuschließen. Finanzminister Wolfgang Schäuble beharrt auf Fortsetzung der Überprüfung der Reformen durch die Troika, wäre aber bereit, diese Reformen zu unterziehen und einen anderen Namen zu geben. Die Troika war von Anfang an eine Notkonstruktion, weil die EU 2010 über keine geeigneten Strukturen für milliardenschwere Eurohilfen verfügte. Seit Monaten zeichnet sich ohnehin ab, dass die EZB das Gremium verlässt, weil es nicht Aufgabe einer Zentralbank sein kann, Finanzpolitik der Länder quasi zu steuern.
Varoufakis ist nun bereit, mit der EU-Kommission und den Eurostaaten zu kooperieren. Es dürfte der Regierung Tsipras darum gehen, den IWF als "Aufpasser" über das Hilfsprogramm loszuwerden. Der Währungsfonds stellt viel härtere Bedingungen an Kreditnehmer. Das würde aber bedeuten, dass die Euroländer dann noch tiefer in die Tasche greifen müssen, sollte Griechenland in Zukunft wieder Hilfe brauchen.
Varoufakis legte seinen Kollegen eine Liste von Maßnahmen vor, mit denen er zusätzliche Einnahmen kreieren will, um Sozialmaßnahmen wie die Erhöhung des Mindestlohnes zu finanzieren: Der Kampf gegen Steuerflucht und Korruption soll verstärkt werden, Steuern für Wohlhabende erhöht werden. Den Großteil der Reformauflagen will er erfüllen, ein Drittel der Maßnahmen aber "modifizieren".
Geld wird knapp
Jetzt muss alles schnell gehen, wird Athen doch ohne neue Hilfszahlungen bald das Geld ausgehen. Noch im Februar werden mehr als drei Milliarden Euro an Kreditrückzahlungen fällig. Im März steigt das Volumen auf knapp sechs Milliarden Euro. Heikel ist das Tauziehen vor allem für die Europäische Zentralbank und den Währungsfonds: Von den von der EZB gehaltenen Staatsanleihen werden 6,7 Milliarden Euro im Sommer fällig. Der IWF muss heuer um die Rückzahlung von 9,8 Milliarden Euro bangen. Dazu kommen kurzfristige Schuldscheine über 14,5 Milliarden Euro, die heuer auslaufen. (Thomas Mayer aus Brüssel, DER STANDARD, 12.2.2015)