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IWF-Chefin Christine Lagarde ist zuversichtlich, dass die Hilfsgelder für die Ukraine bald fließen können. Das Land habe eine Bereitschaft für Reformen gezeigt, "wie wir sie nie zuvor gesehen haben", sagt Lagarde.

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Russlands Präsident Putin gibt eine Pressekonferenz nach der 16-stündigen Marathonsitzung.

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Poroschenko: Die ukrainischen Behörden sollen bis Ende des Jahres wieder die Grenze zu Russland kontrollieren.

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Merkel und Hollande sind erfreut, dass doch ein Durchbruch gelang.

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Minsk - Die Ukraine kann finanziell aufatmen und die Gefahr einer Staatspleite vorerst abwenden: Das Land erhält vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und anderen Geldgebern rund 40 Milliarden Dollar (35,14 Mrd. Euro). IWF-Chefin Christine Lagarde kündigte am Donnerstag an, der Fonds werde sich mit 17,5 Milliarden Dollar an den Hilfen beteiligen. Man habe sich auf ein Programm über vier Jahre verständigt, dem noch die Gremien des Fonds zustimmen müssten. Lagarde sagte, sie hoffe, das grüne Licht komme "vor Ende Februar".

Das restliche Geld soll aus anderen Quellen bekommen - etwa von der EU und einzelnen Ländern. Die Regierung in Kiew habe eine Bereitschaft zu Reformen gezeigt, "wie wir sie nie zuvor gesehen haben", sagte Lagarde. Sie bezeichnete das Programm als ehrgeizig, aber realistisch. Im Gegenzug zu den Finanzhilfen verpflichtet sich die Ukraine zu umfassenden Reformen etwa im Energiesektor, bei der Bankenrestrukturierung und im Kampf gegen die Korruption. "Die Umsetzung des Programms könnte einen Wendepunkt für die Ukraine darstellen", sagte Lagarde.

IWF sieht Entschlossenheit in Kiew

"Das größte Risiko bleiben die geopolitischen Entwicklungen, die sich auf die Märkte und das Vertrauen der Investoren auswirken können", sagte Lagarde. Die bereits umgesetzten Reformen - etwa Preiserhöhungen für bisher hoch subventioniertes Gas und Öl - zeigten aber die Entschlossenheit der Regierung. "Wenn das Programm gelingt und die russische Aggression endet, kann die Wirtschaft ab 2016 wieder wachsen", sagte der ukrainische Regierungschef Arsenij Jazenjuk.

Um einen Bankrott der Ukraine zu verhindern, hatten die Geber schon im Frühjahr 2014 Hilfskredite von 27 Milliarden Dollar zugesagt. Die Hilfen reichten aber nicht aus. Die ukrainische Wirtschaftsleistung schrumpfte 2014 um 7,5 Prozent, für 2015 wird ein Minus von fünf Prozent erwartet. Die Währung Hrywnja verlor die Hälfte ihres Wertes.

Verhandlungsmarathon

Zuvor war beim Gipfel in Minsk erst im Nachsitzen gelang doch noch der Kompromiss gelungen. Insgesamt 17 Stunden brauchten die Präsidenten Russlands, der Ukraine und Frankreichs, Wladimir Putin, Petro Poroschenko und Francois Hollade sowie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Mehr als ein Dutzend Punkte kamen dabei heraus. Sie sollen dabei helfen, die im September ebenfalls in Minsk vereinbarte Feuerpause umzusetzen. Ab Sonntag null Uhr sollen demnach alle Kriegshandlungen eingestellt, schwere Waffen innerhalb von zwei Wochen abgezogen werden. Vereinbart wurde dafür ein Sicherheitsstreifen von 50 Kilometer Breite für Artilleriewaffen mit einem Kaliber von mindestens 100 Millimeter, 70 Kilometer für Raketenwerfer und sogar 140 Kilometer für Mehrfachraketenwerfer der Typen Smertsch und Uragan sowie ballistische Raketen vom Typ Totschka.

OSZE soll Umsetzung überwachen

Da die Demarkationslinie zwischen den verfeindeten Parteien immer noch umstritten ist, griffen die Diplomaten zu einem Trick: Die Pufferzone zählt für die ukrainischen Truppen von der faktischen Frontlinie, für die Separatisten von der im Herbst vereinbarten. Somit müssen beide Kriegsparteien weiter zurück, als ihnen lieb ist. Überwacht wird der Prozess von der OSZE und der Ukraine-Kontaktgruppe.

Inzwischen tauchen bereits Unterschiede in der Lesart der Vereinbarung auf: Während Kiew beim Gefangenaustausch auf die Freilassung der in Russland inhaftierten Pilotin Nadeschda Saw-tschenko besteht, teilte deren Anwalt Mark Fejgin mit, sie stehe nicht auf der Austauschliste. Aus der Duma verlautete später, Sawtschenko könne erst aus dem Gefängnis, wenn ein russisches Gericht sie vom Vorwurf freispreche, russische Journalisten durch gezieltes Artilleriefeuer in der Ostukraine getötet zu haben.

Streit ist auch bei der Frage zu erwarten, wer als ausländischer Söldner zu gelten habe. Trotz eines Monatssalärs zwischen 1000 und 1500 Euro bezeichnet Moskau die bei den Rebellen kämpfenden Russen als Freiwillige. Russische Panzer gebe es seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion zuhauf in der Ukraine, hatte Moskaus EU-Botschafter Wladimir Tschischow zuletzt auch Lieferungen von Kriegsgerät - das ebenfalls abgezogen werden soll - bestritten.

Politische Regelungen

Fallstricke weisen zudem die Versuche einer politischen Lösung des Konflikts auf: So muss Kiew zwar innerhalb von 30 Tagen den Rebellengebieten einen Sonderstatus einräumen, doch Poroschenko widersprach noch in Minsk der Darstellung, dass es sich um eine Autonomie handle.

Was die Verfassungsänderung beinhaltet, die die Ukraine bis zum Jahresende durchführen soll, um das Land zu dezentralisieren, muss sich noch zeigen. Andererseits ist unklar, wie viel Zeit die Rebellen haben, Wahlen in ihrer Region durchzuführen. Davon hängt aber ab, wann die Grenze in den Gebieten wieder von ukrainischen Beamten kontrolliert wird. Beide Seiten haben sich offenbar Hintertüren offen gelassen, die Abmachung umgehen zu können.

Und doch droht dem Waffenstillstand die größte Gefahr von den noch andauernden Kämpfen um die Kleinstadt Debalzewe östlich von Donezk. Beide Seiten beanspruchen den strategisch wichtigen Verkehrsknotenpunkt für sich. Dass eine Expertenkommission in Kürze vor Ort entscheiden soll, wer die militärische Überhand und damit das Recht auf den Ort hat, dürfte zu einer weiteren Eskalation in der Region führen. Putin sagte, "selbstverständlich" gingen die Separatisten davon aus, dass die bis zu 8000 in Debalzewe eingeschlossenen ukrainischen Soldaten vor Inkraftreten der Waffenruhe aufgäben. (André Ballin, red, APA, DER STANDARD, 12.2.2015)