derStandard.at: Wie lange wird die am Donnerstag in Minsk getroffene Einigung für den Konflikt in der Ostukraine halten?

Mangott: Die Kämpfe dauern derzeit noch immer an. Vor allem der Status von Debalzewe ist ungeklärt. Entweder sind die ukrainischen Soldaten in der Stadt tatsächlich eingekreist und müssten daher die Stadt über einen humanitären Korridor verlassen. Oder sie sind es nicht und können dort verbleiben, womit Debalzewe weiter unter ukrainischer Kontrolle steht. Allein daran kann die Einstellung der Kampfhandlungen am 15. Februar scheitern. Wird diese Frage gelöst, ist mit einem Abflauen der Kampfhandlungen zu rechnen. Ob aber ein belastbarer, beidseitiger Waffenstillstand umgesetzt werden kann, ist derzeit völlig offen. Nach dem Minsker Protokoll vom 5. September 2014 war schon einmal ein Waffenstillstand angesetzt, der aber nie eingehalten wurde.

derStandard.at: Wer hat seine Interessen besser durchgesetzt?

Mangott: Die Ukraine hat erreicht, dass die im Minsker Memorandum vom 19. September 2014 beschlossene Demarkationslinie zwischen den ukrainischen Kräften und den Rebellen weiterhin aufrecht bleibt. Anders als erwartet muss die Ukraine damit die territorialen Gewinne der Rebellen in den vergangenen Monaten nicht anerkennen. Allerdings sind die Rebellen auch nicht gezwungen, sich hinter die Frontlinie vom September 2014 zurückzuziehen. Die Ukraine hat auch erreicht, dass ein Zeitplan für die Wiedererlangung der Kontrolle über die russisch-ukrainische Grenze in den Rebellengebieten vereinbart wurde. Allerdings steht das unter dem Vorbehalt, dass für die Rebellengebiete über eine Verfassungsreform ein "dauerhafter besonderer Status" eingerichtet wird. Was das konkret bedeutet, ist aber heftig umstritten.

derStandard.at: Und Russland?

Mangott: Russland wiederum hat erreicht, dass Kiew die finanzielle und wirtschaftliche Blockade der Rebellengebiete beenden soll und die genannte Verfassungsreform zustande kommt. Aber auch hier bleibt abzuwarten, ob diese Verpflichtungen auch umgesetzt werden.

derStandard.at: Wie viel Einfluss hat Putin tatsächlich auf die Separatisten?

Mangott: Sowohl Merkel als auch Hollande haben unmittelbar nach den Gesprächen attestiert, dass Putin die Rebellen gezwungen hat, die Vereinbarungen zu unterzeichnen. Die Rebellenführer Alexander Sachartschenko und Igor Plotnizki hatten sich zunächst geweigert. Das zeigt natürlich, dass Russland sehr wohl entscheidenden Einfluss auf die Rebellen hat. Auch wären die Geländegewinne der Rebellen in den letzten Monaten ohne direkte russische militärische, personelle und finanzielle Hilfe nicht möglich gewesen. Ohne diese russische Rückendeckung wäre die militärische Kontrolle über die Rebellengebiete längst verloren gegangen.

derStandard.at: Wie groß war der Beitrag von Angela Merkel und François Hollande – ein diplomatischer Erfolg?

Mangott: Merkel und Hollande haben mit dieser Vermittlungsmission viel riskiert. Vor dem Hintergrund der eskalierenden Kämpfe in der Ostukraine und der Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine war diese Mission ein letzter Versuch, eine Verhandlungslösung zu erreichen. Das vorläufige Ergebnis lässt zumindest die Hoffnung offen, dass die nun erreichte Einigung auch umgesetzt wird – zumindest im Hinblick auf den Waffenstillstand und die Truppenentflechtung. Eine Eskalation der Kämpfe, die viele Experten von Waffenlieferungen erwarten, konnte durch Merkel und Hollande zumindest vorerst vermieden werden. Das ist ihr Verdienst.

derStandard.at: Sind Waffenlieferungen demnach vorerst vom Tisch?

Mangott: Eine Entscheidung über Rüstungshilfe an die ukrainischen Streitkräfte durch die USA wird jedenfalls so lange ausbleiben, wie eine begründete Hoffnung auf die Umsetzung des Minsker Verhandlungsergebnisses besteht. (Florian Niederndorfer, derStandard.at, 12.2.2015)