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Lars Feld: "Finanzminister Yiannis Varoufakis (hier vor der versammelten Presse, Anm.) tänzelt am Abgrund."
STANDARD: Was bedeutet es, dass die Europartner und Griechenland noch zu keiner Einigung im Schuldenstreit gekommen sind?
Lars Feld: Zunächst bedeutet das nur, dass wir in die nächste Verhandlungsphase eintreten. Es zeigt aber, wie sehr Griechenland darauf setzt, durch eine harte Verhandlungsstrategie die Europartner zum Einlenken zu bewegen. Finanzminister Yiannis Varoufakis tänzelt am Abgrund und meint, dadurch Glaubwürdigkeit zu signalisieren. Er sollte aufpassen, dass das Publikum nicht des Schauspiels müde wird.
STANDARD: Sie haben einmal gesagt, dass man sich vom Rettungsschirm hin zu einer Insolvenzordnung für Staaten bewegen muss. Passiert ist diesbezüglich wenig. Dabei gäbe es mit Griechenland doch einen Anlassfall, darüber wieder nachzudenken ...
Feld: Ja, eine Insolvenzordnung für Staaten im Euroraum ist als Ergänzung des ESM notwendig. Ich würde Griechenland nicht weiter umschulden. Wir haben ja einen wichtigen Gläubiger, der nie an Umschuldungen teilnimmt, das ist der Internationale Währungsfonds. Auch die EZB kann das gemäß ihrem Mandat nicht, weil sie sonst monetäre Staatsfinanzierung betreiben würde. Die privaten Gläubiger haben nach dem Schuldenschnitt 2012 Konditionen akzeptiert, die für Griechenland keine besondere Belastung bedeuten. Die Zinszahlungen sind wachstumsindexiert – daher haben die privaten Gläubiger bisher kaum Zinszahlungen gesehen.
STANDARD: Die Griechen betonen, dass sie Zeit brauchen, das Geld für den Schuldendienst zu verdienen. Ist das ein verständliches Argument oder eine Ausrede?
Feld: Beides. Es ist verständlich, dass Griechenland nach den Jahren der Depression, den massiven Anpassungen, der Reduktion des BIP um ein Viertel genug hat von den Reformen. Dafür habe ich Verständnis. Diese Härten für die Menschen dort würden weder Deutschland noch Österreich einfach so hinnehmen. Griechenland hat sehr viel getan für die Konsolidierung seines Haushaltes, hat die Punkte Steuerhinterziehung und Korruption aber nicht gelöst. Die Regierung will nun ihre Wahlversprechen einlösen, das Geld dafür fehlt aber.
Nun möchten die Griechen, dass die europäischen Partner dafür die Zeche zahlen. Das kann nicht sein. Wenn man in Griechenland der Meinung ist, man könnte ohne Auflagen und ohne zusätzliches Programm oder zusätzliche Mittel der europäischen Partner auskommen und dann mit einer anderen Verteilungswirkung seine Wirtschafts- und Finanzpolitik betreiben, dann kann man Griechenland nur auffordern, dies eigenverantwortlich zu tun. Griechenland kann aber nicht erwarten, dass die Steuerzahler im Rest Europas dafür die Rechnung zahlen.
STANDARD: Warum sind Sie gegen eine Kompromisslösung mit Athen?
Feld: Griechenland schafft es immer noch nicht, seine laufenden Ausgaben durch laufende Einnahmen zu finanzieren. Es wird zwar immer behauptet, es gebe einen Primärüberschuss. Das ist aber nicht korrekt, denn in diesem Primärüberschuss sind Zahlungen der europäischen Partner auf der Einnahmenseite enthalten, die die EZB aus den Zinseinnahmen im Rahmen ihres ersten Staatsanleihenkaufprogramms mit griechischen Anleihen generiert.
Die Zinseinnahmen werden über die nationalen Finanzministerien an den griechischen Fiskus gezahlt, weil die EZB keine Umschuldung vornehmen kann. Der griechische Staat erhält also Sonderzahlungen, damit Europa keinen Gewinn aus der griechischen Misere zieht. Wenn man diese Beträge herausrechnet, hatte Griechenland 2013 ein Primärdefizit. 2014 gehe ich ebenfalls von einem Primärdefizit aus, weil einige Griechen schon vor dem Regierungswechsel keine Steuern mehr gezahlt haben.
STANDARD: Wie kann es sein, dass gerade bei den Einnahmequellen – Stichwort Steuern – keine Fortschritte erzielt wurden?
Feld: Das hat in Griechenland eine lange Tradition. Es ist ja nicht alleine damit getan, dass es schärfere Kontrollen oder Strafen gibt. Man muss den Steuerzahlern glaubwürdig darlegen können, dass man mit diesen Einnahmen etwas tut, wovon die Bevölkerung etwas hat. Wenn in einem Staat die Einnahmen versickern, weil Klientelpolitik betrieben wird, dann hat der Bürger wenig Einsehen zur ordentlichen Steuerzahlung.
STANDARD: Kann Griechenland eine Staatspleite noch verhindern?
Feld: Verhindern können sie das allemal. Aber sie müssen von ihren Positionen abweichen und sich massiv auf die Europäer zubewegen. Das heißt auch, dass sich die Regierung Tsipras von einem Großteil der Wahlversprechen verabschieden muss.
STANDARD: Sind die gewünschten unendlich laufenden Anleihen eine Möglichkeit zur Finanzierung?
Feld: Man verschleiert damit, dass man im Grunde etwas Ähnliches wie einen Schuldenschnitt möchte. Die Griechen wollen einfach ihre Schulden nicht bezahlen. Die EZB, für die dieser Vorschlag gedacht ist, kann dazu nicht die Hand bieten. Die Idee ist zudem, BIP-indexierte Anleihen im Tausch gegen die jetzigen Schulden der öffentlichen Gläubiger zu begeben. Wann immer es Wirtschaftswachstum gibt, fallen Zinszahlungen an. Das hat man schon in Argentinien gemacht. Dort stellte sich schnell die Frage, ob das dortige Statistikamt das BIP noch unabhängig und korrekt berechnet. In Athen würden die Zahlen wohl ebenso manipuliert.
STANDARD: Ist es nicht so, dass ein Teil der Griechenland-Hilfe ohnehin schon verloren ist, weil das Land den Schuldenberg nicht abbauen kann?
Feld: Da bin ich immer zurückhaltend. Deutschland hat seine Verpflichtungen aus dem Young-Plan für die Reparationszahlungen aus dem Ersten Weltkrieg ab 1990 nach der Wiedervereinigung auch abbezahlt. Man muss als staatlicher Gläubiger einen langen Atem haben in solchen Situationen. Geduldig sein, sich zurücklehnen und abwarten. Bei der griechischen Umschuldung 2012 haben wir gesehen, dass es private Gläubiger gegeben hat, die hart geblieben sind und dann voll bedient wurden. Die Hedgefonds, die kurz vor der Umschuldung eingestiegen sind, beharren einfach auf einer Bezahlung zu 100 Prozent.
STANDARD: Die EZB akzeptiert keine griechischen Anleihen mehr als Sicherheit. Andererseits kann Athen auf das Notfallprogramm ELA zurückgreifen, um die Banken zu finanzieren. Ist das nicht auch eine Augenauswischerei?
Feld: Nein. Die EZB bleibt damit genau im Rahmen dessen, was sie machen kann. Sie ermöglicht eine Bankenrekapitalisierung, aber nur im Rahmen der ELA. Das muss sie tun, weil die Sonderkondition, griechische Anleihen zu akzeptieren, obwohl diese auf Ramschniveau sind, nur so lange gelten kann, wie Griechenland sich in einem Programm mit den EU-Partnern befindet. Bei ELA ist es so, dass diese Kredite höher verzinst sind und in der Bilanz der nationalen Notenbank bleiben. Damit geht das Ausfallrisiko der als Sicherheiten eingesetzten griechischen Staatsanleihen auf die Bilanz der nationalen Notenbank und nicht auf die Bilanz des Eurosystems.
STANDARD: Wird Griechenland aus der Eurozone austreten?
Feld: Weder die Griechen wollen das noch die europäischen Partner. Es kann passieren, dass Griechenland faktisch, im Sinne eines Kollateralschadens, austritt. Im Moment wird ein ’Feiglingsspiel’ gespielt. Es fahren zwei Autofahrer aufeinander zu, und wer zuerst ausweicht, hat verloren. Ich habe den Eindruck, dass sich Griechenland dabei überschätzt. Die fahren mit einem Fiat auf einen Mercedes zu, und der Mercedes hat bekanntermaßen die besseren Teile, insbesondere die besseren Bremsen. Ich würde nicht darauf bauen, mit meinem Fiat durchzukommen. Wenn die Griechen weiter so aufs Gas treten, kann am Ende die Notwendigkeit der EZB bestehen, den hellenischen Banken den Geldhahn zuzudrehen. Das käme einem Austritt gleich. Die Geldversorgung wäre wieder in den Händen des griechischen Staates.
STANDARD: Abgesehen von Griechenland – wo in Europa sehen Sie noch große Probleme? Es gibt die Deflationssorge, die hohe Arbeitslosigkeit, das schwache Wirtschaftswachstum ...
Feld: Beim Thema Arbeitslosigkeit bin ich zurückhaltend, die steigt nur in einigen Ländern. In Spanien, Portugal oder Irland – die ja auch Sparprogramme hatten – zeigen die Reformen Erfolg. Dort wird die Arbeitslosigkeit wieder abgebaut, zwar langsam, aber es ist eine merkliche Bewegung in die richtige Richtung. Hoch bleibt die Arbeitslosigkeit in Italien, und sie steigt in Frankreich. Das sind auch jene Länder, in denen es bisher keine nennenswerten Reformen gab – vor allem nicht am Arbeitsmarkt. Solche Strukturreformen stehen noch aus. So fehlen dort die Wachstumsimpulse, die wiederum der Eurozone helfen würden. Der Rest Europas hängt im Grund an der Reformunwilligkeit von Frankreich und Italien. (Bettina Pfluger, DER STANDARD, 13.2.2015)